Inzwischen hatte ich die Originalarbeit angefordert: Die Ameisen wurden darauf trainiert, in einer 10 m langen, geraden Aluminium-Schiene zu einer festen Futterstelle zu laufen, konnten also keinen Zickzack-Kurs steuern.
An der Futterstelle wurden die Beinverlängerungen bzw. –verkürzungen vorgenommen. Die Ameise wurde mit einem Futterbrocken dazu motiviert, zum Nest zu laufen, und dabei konnte man Weglängen, Schrittlängen, Geschwindigkeit usw. messen, wobei auch Hochgeschwindigkeits-Videoaufnahmen ausgewertet wurden.
Da mir unklar war, ob und wie die Ameise auch nach einem „Zickzack-Hinweg“ die Strecke für einen geraden Rückweg „errechnet“, habe ich bei einem der Autoren, Herrn Dr. Wittlinger, nachgefragt.
Aus seiner Antwort geht hervor, dass die Versuchsanordnung mit den geraden Schienen gewählt wurde, um möglichst alle störenden Parameter auszuschalten.
Zitat Wittlinger:
Normalerweise laufen die Tiere im offenen Feld (wenn sie nicht auf eine best. Futtestelle trainiert sind) in mäandernder Art und Weise bis sie Futter finden und laufen auf direktem Wege zurück. Wie sie bestimmt wissen ist diese so genannte Wegintegration ("path integration") eine annähernde Vektoraddition in der der Weg in Einzelvektoren aufgeteilt wird. Dadurch erhalten die Tiere einen resultierenden Vektor, der invers die Info über Richtung und Entfernung zum Ausgangspunkt beinhaltet. Die Wegstrecke wird nun eben durch Integration der Schritte ermittelt.
Der Versuch würde auch ohne Kanäle funktionieren und müsste auch bei Tieren nach natürlichen (mäandernden) Ausläufen nach der Manipulation der Beinlänge zu Fehleinschätzungen des Rücklaufvektors führen.
Die Tiere können also noch einiges mehr als man nach den Berichten in der Presse erwarten würde! Verständlich (und nicht ganz wissenschaftlich) ausgedrückt: Die Ameise läuft eine bestimmte Anzahl Schritte in eine Richtung, macht dann eine Schwenkung um einen bestimmten Winkelbetrag in eine andere Richtung, nach wiederum einer Anzahl von Schritten folgt eine weitere Richtungsänderung, und so weiter. Hat sie endlich Beute gefunden, kann sie aus den verschiedenen Richtungsänderungen UND der Anzahl der Schritte, die sie in die jeweilige Richtung getan hat, „ausrechnen“, in welcher Richtung das Nest ist UND wie viele Schritte sie machen muss, um in dieser Richtung auf geradem Weg dorthin zu gelangen.
Das erinnert an das „gegisste Besteck“ der Seefahrer vor GPS-Zeiten. (Gegisstes Besteck: Bestimmung des Schiffsorts durch Koppeln des Kurses und der zurückgelegten Strecke; ggf bei Google nachsehen).
Ameisen haltende Schüler: Lernt das Vektorrechnen! Sonst sind Euch Eure Ameisen geistig überlegen!
MfG
Earlant