Riesen Kolonie

Hier können wissenschaftliche Informationen zu Ameisen eingetragen werden.

Riesen Kolonie

Beitragvon berger65 » 23. Dez 2004 01:27

Vor einiger Zeit, hatte ich einen Artikel über eine 6000 km lange Ameisenkolonie gelesen. Könnt Ihr mir näheres zu der Kolonie sagen?
Mich würde das wirklich mal interessieren.

MfG Berger
berger65
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Beitragvon Martin S. » 23. Dez 2004 09:15

Bild (Bild: Spiegel, 18.04.2002)

Der Bericht vom 17.04.2002 aus dem "Tagesspiegel"

Die Ameisen kommen Am Mittelmeer erstreckt sich eine Kolonie von 6000 Kilometern Länge.

Eine Kolonie dieser immensen Größe wurde noch nie beobachtet. Sie beginnt in der Gegend von Genua und reicht von dort bis zur französischen Riviera, nach Nizza und Marseille. Von hier geht’s weiter nach Spanien: Barcelona, die Küste runter nach Valencia bis hin zu Gibraltar. Dann weiter über die Atlantikküste hoch nach Lissabon – um schließlich im nordwestlichen Zipfel Spaniens ihr vorläufiges Ende zu finden.

Der Spruch, dass es die Touristen in diese hübsche Küstengegend zieht wie die Ameisen, ist mehr als ein Gleichniss – er könnte die Realität nicht besser treffen. Denn die Kolonie, von der hier die Rede ist, besteht aus einer Spezies, die man als „Linepithema humile“ bezeichnet, zu Deutsch: Die Argentinische Ameise. Über eine Strecke von 6000 Kilometern bevölkern Milliarden von Ameisen die Küste. Das Verblüffende und gleichzeitig Gespenstische ist: Alle diese Ameisen gehören offenbar zur gleichen Gruppe.

Wie ist das möglich? Man vermutet, dass alles um das Jahr 1920 begann, als eine kleine Kolonie Argentinischer Ameisen hier den Kontinent erreichte, und zwar über Pflanzenimporte aus Südamerika. Aber wie kam es, anschließend, zu diesem beispiellosen Feldzug?

Ein Team von Wissenschaftlern aus der Schweiz, Frankreich und Dänemark glaubt, das Rätsel der argentinischen Superkolonie jetzt gelüftet zu haben. Ihre Ergebnisse sind im Fachblatt „Proceedings of the National Academy of Sciences“ veröffentlicht. Die Lösung lautet: Kooperation statt Krieg.

Um herauszufinden, wie eine Argentinische Ameise tickt, schnappten sie sich an 33 verschiedenen Küstenstellen eine Gruppe von jeweils 5000 Arbeitern. Dann begannen sie mit einer Reihe von Tests.

Test 1: Die Aggression. Warum, fragten sich die Wissenschaftler, bekämpfen sich die Ameisen der Superkolonie nicht gegenseitig und bilden, wie es üblich ist, eigene Kolonien? Um herauszufinden, wie ausgeprägt das Aggressionsverhalten der Superkolonie-Ameisen tatsächlich ist, setzten sie jeweils eine Ameise von einer der 33 Regionen mit einer anderen in eine 5,5 Zentimeter kleine Kampfarena. Das Resultat: Keine der Ameisen kämpfte mit der anderen – es sei denn, einer der Ameisen stammte aus der Gegend von Katalanien. Dann wurde gekämpft bis zum bitteren Ende, „in 98 Prozent der Fälle bis zum Tod“, wie die Forscher berichten.

So entdeckte das Wissenschaftlerteam, dass die Superkolonie in Wahrheit aus zwei Kolonien besteht: einer, die ihren Hauptstützpunkt in Katalanien hat – und einer anderen, die den Rest der Küste erobert hat.

Test 2: Die Gene. Für noch größere Verblüffung sorgte die Analyse der Ameisengene. Die naheliegendste Erklärung für das Auftreten zweier Kolonien wäre, dass von den Ameisen-Importen aus Südamerika letztlich zwei Kolonien überlebt haben. Die Ameisen einer Kolonie müssten dann genetisch sehr ähnlich sein – was auch der Grund dafür wäre, sich nicht untereinander zu bekämpfen, dafür aber um so mehr die Mitglieder der anderen Kolonie. Es ist, wie wenn zwei Familien ausgewandert wären und sich anschließend untereinander vermehrt hätten.

Erstaunlicherweise aber waren die genetischen Unterschiede zwischen den Ameisen relativ groß – und zwar zwischen allen Ameisen, die aus unterschiedlichen Regionen kamen, egal, zu welcher der beiden Superkolonien sie gehörten. „Das Ausmaß der Aggression wurde davon bestimmt, ob die Ameisen von der selben Superkolonie stammten, und nicht von den genetischen Unterschieden“, berichten die Forscher.

Diese biologische Kuriosität können sich die Wissenschaftler nur so erklären: Die Ameisen einer Superkolonie haben die Fähigkeit verloren, sich als fremd zu erkennen. „Das machte es möglich, auf dichtem Raum zusammenzuarbeiten“, sagt auch Jürgen Heinze, Ameisenforscher an der Universität Erlangen. Somit ist es eine Art Defekt, der den Krieg zwischen den Ameisen vermeidet – auch wenn keiner weiß, wie der Mechanismus genau funktioniert. „Ameisen erkennen sich am Geruch – vielleicht riechen die Ameisen einer Kolonie gleich, vielleicht erkennen sie die unterschiedlichen Gerüche auch nicht mehr“, sagt Heinze.

So kooperativ die Ameisen einer Kolonie sind, so aggressiv sind sie nicht nur gegenüber den Mitgliedern einer anderen Kolonie – die sie offenbar schon noch als fremd erkennen können –, sondern auch gegenüber dem Rest der sie umgebenden Biologie: Die Argentinische Ameise zerstört nicht nur alle anderen Ameisenarten, die ihr über den Weg laufen, sondern auch Früchte, Knospen und indirekt Pflanzen (indem die Ameise zum Bodyguard von Blattläusen wird).

„Zum Glück befinden sich die Alpen zwischen uns und der Superkolonie im Süden“, sagt Experte Heinze. Allerdings hat man nun auch in nördlicheren Gegenden eine besonders aggressive Ameise gefunden. Ihr Name: „Lasius neglectus“. Noch hat der Volksmund keine Bezeichnung für die Ameise gefunden, auch wenn man in Budapest, Warschau und Jena schon Kolonien von ihr entdeckt hat. Heinze: „Sie ist auf dem Vormarsch.“ "
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Beitragvon Martin S. » 23. Dez 2004 09:23

Hier der Hyperlinks sind nur für registrierte Nutzer sichtbar aus wissenschaft.de

"Friedliche Riesenkolonie argentinischer Ameisen lebt in Europa
Forscher halten ungewöhnliche Harmonie für Überlebensstrategie

Eine Riesenkolonie argentinischer Ameisen mit Milliarden von Tieren in Millionen von Nestern bevölkert große Teile Südeuropas von Italien bis zur spanischen Atlantikküste. Die Tiere leben als ein Volk: Anders als sonst bei Ameisen bekämpfen sich Bewohner verschiedener Nester nicht. Eine Erklärung für dieses friedliche Zusammenleben stellt ein internationales Forscherteam im Fachmagazin "Proceedings" (Ausgabe vom 16. April) der Amerikanischen Akademie der Wissenschaften vor.

In ihrer argentinischen Heimat lebt die Ameisenart "Linepithema humile" in Kolonien, die miteinander konkurrieren und sich gegenseitig bekriegen. Die ungewöhnliche Harmonie der Auswanderer in Europa erklärten Biologen zunächst mit den vermeintlich geringen genetischen Unterschieden der bereits vor Jahrzehnten eingeschleppten Insekten: Bewohner verschiedener Nester seien eng miteinander verwandt und könnten sich daher nicht unterscheiden. Diese These widerlegten die Forscher um Tatiana Giraud von der Universität Lausanne (Schweiz) in ihrer Studie mithilfe von Gentests.

Die Biologen aus Dänemark, Frankreich und der Schweiz glauben vielmehr, dass sich das Leben ohne Krieg durchgesetzt hat, weil es in dem fremden Land mit wenigen natürlichen Feinden die effektivste Form des Zusammenlebens ist: Aufwändige Kämpfe zur Verteidigung des Reviers entfallen, die Zahl der Arbeiter kann größer sein und die Nester können dichter nebeneinander angelegt werden.

Dennoch sind die Bewohner der auf rund 6.000 Kilometer verteilten Superkolonie keineswegs "Pazifisten", wie die Forscher herausfanden: Vertreter einer weiteren, nicht ganz so großen spanischen Kolonie bekämpfen sie bis zum Tode. Daraus schließen die Wissenschaftler, dass sich bei der Ausbreitung der Art in Südeuropa zwei Superkolonien mit jeweils ähnlichem, genetisch bestimmtem "Duft" herausbildeten, die gegenüber den anderen Völkern im Vorteil waren. Die Biologen vermuten jedoch, dass ein solches System instabil ist und irgendwann zusammenbrechen könnte."
(ddp/bdw Ulrich Dewald, wissenschaft.de vom 16.04.2002)
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Beitragvon Stefan_K » 23. Dez 2004 09:51

Hier auch:

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Am Ende der Seite sind noch ein paar Links auf andere interessante Artikel.

Gruss,

Stefan
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Beitragvon Karsten Schmitt » 23. Dez 2004 09:57

Hier ein noch ein interessantes Zitat von Herr Prof. Buschinger zu diesem Thema:
"Linepithema humile wurde auch schon in D gefunden. Seifert (1996) erwähnt eine an der Ahr in einer Bodenfalle gefangene Arbeiterin (ich hatte das Tier damals nachbestimmt!). Inzwischen wurde mir Linepithema aus einer Gärtnerei in Darmstadt vorgelegt, wahrscheinlich mit Blumensendung eingeschleppt. In unserem Klima wird sie sich zum Glück allenfalls im Sommer im Freien halten und somit wahrscheinlich nicht von alleine ausbreiten. Das Problem an der Mittelmeerküste ist seit Jahren bekannt, in einem etliche km breiten Gürtel entlang der Küsten findet man fast nur noch Linepithema. Die dort einst reiche Ameisenfauna von > 100 Arten hat sie ausgerottet und/oder verdrängt, es ist ein Jammer!
"Unikolonialität" wurde für mehrere andere Arten auch schon festgestellt, z.B. die Pharaoameise. Das Phänomen ist also nicht so neu wie die aufgeregten Presseberichte suggerieren: Über weite Bereiche sind die Angehörigen zahlreicher Nester sich geruchlich so ähnlich, dass sie sich nicht mehr feindlich gegenüber stehen. Bei Pharaoameisen haben wir in den 60ern mal Völker aus dem Taunus (aus einer Heilanstalt) mit Tieren aus Holland friedlich vereinigen können. Die in den Südstaaten der USA eingeschleppten Feuerameisen konnte man anfangs so bekämpfen, dass man eine Schaufel Nestmaterial mit Ameisen auf einen zweiten Nesthügel warf: Da gab's Krieg. Nachdem die Art allerdings zur Polygynie übergegangen war, half das nicht mehr. Auch Waldameisen-Superkolonien mit z.T. Tausenden von Nestern (Formica yessensis in N-Japan: 45.000 Nester!) sind unikolonial, aber Tiere aus entsprechend weit entfernten, getrennten Superkolonien vertragen sich nicht (ebenso wie die katalanische Superkolonie von Linepithema sich nicht mit dem Rest verträgt.

Richtig ist, dass für uns die Lasius neglectus ein ähnliches Problem werden kann. Nicht nur, dass sie von Südosten unaufhaltsam vorrückt, sie wurde 1999 durch X. Espadaler auch schon in Nordspanien nachgewiesen. Die Auswirkungen auf die dort heimischen Ameisen sind ähnlich verheerend wie die der Argentinischen Ameise an der Küste.
Die Hoffnung, dass sich die Riesenpopulation von Linepithema allmählich genetisch auseinander entwickelt, ist gering: Bei der hohen Siedlungsdichte dürfte jede "abweichende" Königin rasch eliminiert werden. Allenfalls eine isolierte, anfangs kleine Population könnte diesen Schritt vollziehen. - Das ist vielleicht der Grund für die Existenz der zwei unverträglichen Populationen, oder die katalanische Population geht auf eine zweite, unabhängige Einschleppung aus Südamerika zurück. Guter Rat ist teuer!“

Er berichtet, das diese Art auch schon in Deutschland vorkommt.
Zitat:
„In Deutschland wurde sie bereits in Jena gesehen. B. Schlick-Steiner aus Wien schrieb mir, ebenfalls vor kurzem, dass in L. neglectus -Vorkommen in Budapest zwar einige unterirdisch lebende Ameisenarten mit diesen koexistieren können, dass dort aber eben 99 % der Ameisen, die man zu Gesicht bekommt, L. neglectus sind!“
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Beitragvon Jens » 23. Dez 2004 16:12

Wenn hier schon alle Berichte gesammelt werden, so möchte ich hier auch noch einen Beitrag "der Welt" vom 23. 04. 2002 einfügen :mrgreen:

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Die Krabbelgruppe
Der größte Ameisenstaat der Erde wurde entdeckt. Er umfasst eine Länge von 6000 Kilometer. Wissenschaftler sprechen von einem "Superorganismus" und diskutieren die Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält

Wie man sieht: Blattschneider-Amei-sen machen ihrem Namen alle Ehre Foto: dpa
Von Ulli Kulke
Spanien und Portugal - eine einzige Kolonie südamerikanischer Heerscharen. Die Iberische Halbinsel ist regelrecht umzingelt, Südfrankreich ebenso und die italienische Riviera auch. Die Wesen, die die Konquista heute, 500 Jahre danach, in die Gegenrichtung kehren, haben sechs Beine. Zwei Millimeter sind sie nur groß, und noch sind sie friedlich. Doch sie können sehr grausam sein. So grausam, dass sich Francisco Pizarro und Hernán Cortés dagegen als Pazifisten ausnähmen. Man nennt sie "Linepithema humile". Ihre Heimat ist Argentinien. Viele Milliarden von ihnen bevölkern die gesamte südwesteuropäische Festlandküste. Und wenn demnächst, zur Feriensaison, jemand an den Urlauberstränden klagt, hier wimmele es ja wie im Ameisenhaufen, dann könnte das diesmal ganz anders klingen als sonst.

In Zickzacklinien von der Riviera bis nach Galizien, über knapp 6000 Kilometer reicht im Frühjahr die größte Ameisenkolonie, die Zoologen jemals auf der Welt fanden - eine Länge, die derjenigen des Reiches Alexanders des Großen vergleichbar ist. Doch während der Grieche alleine herrschte, ist ein Ameisenstaat in dieser Größenordnung als zentralistisches Gemeinwesen undenkbar. Millionen von Königinnen sind nötig, um den Fortbestand zu sichern. Noch haben Ameisenforscher nicht herausgefunden, warum das in diesem Fall in beispielloser Friedfertigkeit vonstatten geht und infolgedessen eine explosionsartige Vermehrung stattfindet. Üblicherweise nämlich bekämpfen sich benachbarte Ameisenstämme bis aufs Messer und halten ihr Bevölkerungswachstum dadurch in Grenzen.

"Wenn Ameisen im Besitz von Nuklearwaffen wären, würden sie die ganze Welt wahrscheinlich innerhalb von einer Woche auslöschen", schreibt Bert Hölldobler, einer der weltweit renommiertesten Ameisenforscher. Für ihn sind seine Forschungsobjekte die "aggressivsten und kriegerischsten von allen Tieren". Mit ihren scharfen Beißapparaten und starken Kiefern schleudern, reißen und würgen sie ihre Gegner, schneiden ohne viel Federlesen Beine und Köpfe ab. Unterlegene Völker werden anschließend verspeist. "Das außenpolitische Ziel der Ameisen", fasst Hölldobler in seinem Buch "Ameisen. Die Entdeckung einer faszinierenden Welt" so zusammen: "ständige Bedrohung der Territorialgrenzen benachbarter Kolonien und, falls möglich, die totale Vernichtung des Nachbarvolkes". Das ist der Normalfall.

Doch bei dem Riesenstaat ist nun alles anders. Aber warum? Haben sich die Ameisen nach der Devise "Gemeinsam sind wir stark" entschlossen, die Welt zu erobern? Ähnlich wie dies die Comicfiguren Dagobert und Donald Duck erfahren mussten, als in einem Entenhausener Vorort ein durchgeknallter Professor mittels "Zyklotron" und "Protonengenerator" entengroße Riesenameisen kreierte, die eine friedliche Picknickgesellschaft durch die Luft wirbelten. Eine wahre Horrorvision, bringen doch die Billiarden kleinen Tierchen schon heute, im Millimeterformat, mehr Biomasse auf die Waage als die gesamte Menschheit.

Zunächst erklärten die Forscher die neue Friedfertigkeit am Mittelmeer über verwandtschaftliche Bande: Der Genpool der Argentinischen Ameise sei so schmal, dass sich alle Nachfahren jener wenigen Exemplare, die 1920 auf einer Importpflanze einwanderten, noch heute als Verwandte fühlen und sich am familiären Duft gegenseitig erkennen. Doch diese These widerlegten Wissenschaftler der Universität Lausanne inzwischen mittels Gentests. Die Biologen glauben nunmehr, dass sich das Leben ohne Krieg in dem fremden Land mit wenigen natürlichen Feinden schlicht als die effektivste Form herausgestellt hat. Sie sprechen von einem gut funktionierenden integrierten "Superorganismus".

Die bei Ameisen so spezielle Fortpflanzungsstrategie zeigt in der Tat, dass sich gerade die kleinen Wesen als großes Ganzes fühlen. Wie bei allen Arten gilt für jedes Einzeltier auch hier als oberster Lebenszweck: möglichst viele der eigenen Gene fortpflanzen. Das Problem für die allermeisten aber: In einer Ameisenkolonie legen lediglich die Königinnen Eier, die Massen von Arbeiterinnen bleiben ohne direkten Nachwuchs, können ihr Ziel also nur indirekt erreichen, indem sie der Königin, ihrer Mutter, bei der Aufzucht der eigenen Geschwister helfen. Immerhin kommen die ihrer eigenen genetischen Ausstattung näher, als es eigene Nachkommen wären. Dies gilt umso mehr, als die Königinnen sich in aller Regel nur einmal im Leben begatten lassen und für die folgenden Brutzyklen quasi eine inkorporierte Samenbank bereithalten.

Auch ohne Sex gibt es genug zu tun, Aufgaben, die die Brut sichern helfen, hält der Staat genügend bereit: Ver- und Entsorgung des Staatsbaus, Lasten tragen beim Umzug in ein neues Quartier und vor allem: tagein, tagaus Nahrung beschaffen. Manche Ameisen betreiben unter der Erde regelrechten Ackerbau. Sie pflanzen, düngen und ernten Pilze für den Eigenbedarf. So sichern die Ameisen den Fortbestand eigener Gene ohne eigene Nachkommen.

Doch diese praktische Harmonie des Familienlebens hat einen Haken: Die Arbeiterinnen pflegen nur ihre Schwestern, mit denen sie stärker verwandt sind als die Brüder, da die aus unbefruchteten Eiern hervorgehen. Damit aber stehen die Arbeiterinnen im Konflikt zur Obrigkeit: Die Königin will schließlich Männchen und Weibchen gleichermaßen durchbringen, ihre eigenen Gene sind in beiden enthalten.

Zum Glück gibt es noch einen zweiten Haken, dessen Lösung auf wundersame Weise auch den Bruder-Schwester-Konflikt bereinigt - und womöglich auch zu solchen Monsterkolonien wie am Mittelmeer führt.

Die genetische Verarmung der einzelnen Ameisenkolonien, quasi die Familie in Monokultur, führt wie überall in der Natur zu Krankheiten, zu Parasitenbefall, letztlich zum Aussterben der Art. Dem wirken "kluge" Königinnen entgegen, indem sie sich vor der Eiablage nicht nur aus ihrer "Samenbank" bedienen, sondern doch irgendwann schlicht fremdgehen, mal eben von außen stehenden Männchen befruchten lassen.

Ein doppelt hilfreicher Seitensprung: Die krankhafte Monokultur der Familie ist geknackt, und außerdem - da nun die weiblichen Nachkommen genetisch ähnlich weit entfernt sind wie die männlichen - verlieren die bösen Schwestern nach und nach das Motiv, die einen Babys besser zu behandeln als die anderen. Doch da nun die gesamte Nachkommenschaft weit weniger der eigenen Gene mit sich trägt, müssen zum Ausgleich umso mehr Nachkommen produziert, gehegt, gepflegt und gepäppelt werden, verdoppelt, verzehnfacht. Alle sitzen nun, rein fortpflanzungstechnisch, in einem Boot - ein regelrechter Superorganismus ist entstanden, in dem Einzelinteressen gar nicht aufkommen, geschweige denn verfochten werden.

Solche Entwicklungen finden statt, und in etwa könnte der Grund dafür auch so aussehen, warum aus einzelnen kleinen Ameisenvölkern der Monsterstaat herangewachsen ist. Doch Anhaltspunkte in diesem konkreten Fall haben die Forscher bisher nicht. Nach ihren heutigen Erkenntnissen gehen sie eher davon aus, dass der Staat auseinander bricht. Je weiter sich die Völker genetisch voneinander entfernen, sagt Laurent Keller von der Universität Lausanne, desto schlechter können sie sich erkennen, desto größer ist die Gefahr, dass sie sich bekämpfen.

Und dann wird es irgendwann wieder ans Würgen, Brechen und Schneiden gehen, wird die totale Vernichtung der Nachbarn auf dem Programm stehen. Und bei uns wieder die beruhigende Gewissheit aufkommen, dass Ameisenstaaten atomwaffenfrei sind - und bleiben.
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Beitragvon berger65 » 25. Dez 2004 19:21

Leute, vielen Dank für die vielen Berichte, aber die meisten sind über 2 Jahre alt. Wie sieht denn der aktuelle Stand aus ???

MfG Berger
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Beitragvon Karsten Schmitt » 28. Dez 2004 19:15

Ich muss den Beitrag von oben noch mal korrigieren.
Herr Buschinger schrieb ergänzend im AF am 23.10.03
- - - - - - - - - -
"Ja, Irren ist menschlich, und manchmal trifft's auch den Fachmann: Was ich oben in dem Beitrag "Linepithema am Mittelmeer" beschrieben hatte, die ekligen Ameisen am Strand bei Llansa, waren gar keine Linepithema, sondern schlichte Tapinoma nigerrimum!

Nach der hochgradig polydomen Nistweise, den langen Straßen und der Vorliebe für Müll und natürlich auch wegen Größe und Färbung der Tiere war ich überzeugt, dass es sich um die Argentinische Ameise handeln müsse. Nur der Geruch nach Tapinoma beim Aufsaugen hat mich etwas stutzig gemacht. Aber ich war irgendwie "fixiert" darauf, hier Linepithema zu sehen.

Zu Hause, unter dem Präpariermikroskop, bestätigten sich meine Zweifel: Die Tiere hatten eindeutig die Merkmale von Tapinoma. Aber unsere beiden einheimischen Arten, T. erraticum und T. ambiguum machen doch keine Superkolonien oder lange Straßen, es sind eher seltene, scheue Bewohner von Trockenrasen-Standorten?!
Sicherheitshalber ließ ich mir von meinem Freund X. Espadaler in Barcelona ein paar "echte" Linepithema schicken (er war am Sammeln des Materials für die Geschichte mit der 5760 km langen Superkolonie beteiligt), und sandte ihm einige von meinen vermeintlichen Linepithema.
Damit war der Fall klar: Er schrieb mir nun, dass meine Tiere zu Tapinoma nigerrimum gehören, und dass deren Lebensweise ganz dem entspricht, was oben beschrieben wurde. Es gibt außer den biologischen auch deutliche morphologische Unterschiede zu unseren einheimischen Tapinoma -Arten in Deutschland.

Logische Folgerung für die Zukunft: Erst gucken, dann gackern! (Dass ich das auch einhalten werde, kann ich nicht garantieren).
Lernen kann man aber auch noch etwas aus diesem Irrtum: Hände weg von Tapinoma nigerrimum !
Sie wird ja im Handel angepriesen, aus Spanien importiert. Mit den zunehmend wärmeren Sommern könnte sie vielleicht auch bei uns sich ansiedeln und ausbreiten, wenn sie hier freikommen sollte!

Xavier hat mir übrigens bestätigt, dass es ein paar naturnahe Bereiche entlang der spanischen Mittelmeerküste gibt, in denen Linepithema noch nicht die dort heimische Ameisenfauna ausgerottet hat, aber er hat auch tatsächlich ganz natürliche Biotope gesehen, in denen es NUR NOCH diese Art gibt!"
- - - - - - - - - -

@Berger65: einen aktuellen Stand der Situation beschreib Ziegelstein aus dem AF vom 13.08.04.

- - - - - - - - - -
Zitat:
21. Erst einmal eine Lesung aus dem Buche Seifert, Kapitel Mayr, Vers 1866:

„Gattung Linepithema Mayr 1866

Etwa 28 Arten mit ursprünglich rein neotropischer Verbreitung. (Die Gattung Iridomyrmex Mayr 1862 hat eine australisch-orientalische Verbreitung.) Einzige in D eventuell im Freiland vorkommende Art ist die in viele Regionen der Welt verschleppte Argentinische Ameise (Linepithema humile, Mayr 1868) – bislang bekannt unter dem Namen Iridomyrmex humilis (Mayr 1868). [...]“

Wer also Temnothorax sagt, muss auch Linepithema sagen!

2. „Die Kolonien in Argentinien erstreckten sich im Durchschnitt über zehn Meter, während die natürliche Aggression der Ameisen untereinander deren Zahl kontrolliere. Die Insekten in Melbourne hingegen kämpften nicht gegeneinander und vermehrten sich deshalb stark.“

Mal ganz naiv: In argentinischen, ursprünglichen Lebensräumen haben wir die gleiche Ameisendichte wie in australischen, urbanen – der Unterschied für den Biologen besteht darin, dass im ersten Fall sich die Beuteinsekten eines Kubikmeter Lebensraumes einer Schar von Linepithema-Fourageuren aus unterschiedlichen Nestern ausgesetzt sehen, während sie im zweiten Fall alle aus einem Nest stammen. Für ein Insekt ist es aber kein wesentlicher Unterschied, ob es von einer Linepithema humile oder von einer Linepithema humile erbeutet wird. Es sollte also nicht der springende Punkt sein, ob es sich um eine Superkolonie oder viele benachbarte Kolonien handelt.

„Wegen ihrer gewaltigen Ausmaße bedrohe die Kolonie die Artenvielfalt der Gegend, da die Insekten einheimische Pflanzen und Tiere zurückdrängen könnten. [...] In Kalifornien gab es den Angaben zufolge bereits Fälle, in denen Kolonien von Argentinischen Ameisen der einheimischen Tier- und Pflanzenwelt deutliche Schäden zugefügt haben.“

Welche Gegend, welche Artenvielfalt in einer urbanen Siedlungswüste („Australische Forscher haben mitten in der Millionenstadt Melbourne einen riesige Ameisenkolonie entdeckt“). Und über die Übertragbarkeit der Prozesse in Kalifornien nach Australien lässt sich streiten!

3. Linepithema in Südeuropa: Ìch habe diese Art bislang nur auf einem Campingplatz angetroffen, in der Umgebung des selben aber nicht (Donana-Nationalpark). Auch Seifert (pers. Mitteilung) fand sie nur in ohnehin stark gestörten Lebensräumen (konkret in Siedlungsbereichen des Menschen) und gibt ihr in intakten Habitaten keine Chance. Wenn nun mittlerweile die Siedlungsaktivität des Menschen an der westlichen Mittelmeerküste zu einer fast vollständigen Bebauung der Küstenlinie geführt haben, ist es nicht verwunderlich, dass dort Neubürger aller Art (die Artenzusammensetzung der Küstenvegetation wird am Mittelmeer schon fast zur Hälfte von Neophyten geprägt) ihre Chancen nutzen, und dass es dort mit den ursprünglichen Arten rapide bergab geht. Wenn aber nur wenige Arten im Siedlungsbereich des Menschen konkurrenzfähig sind, schwindet die Artenvielfalt mit oder ohne Neobiota."
- - - - - - - - - -

Tschö Karsten
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