Fremdgehen fürs Volk

Hier können wissenschaftliche Informationen zu Ameisen eingetragen werden.

Fremdgehen fürs Volk

Beitragvon Martin S. » 29. Dez 2004 14:00

Hier etwas Neues über Ernteameisen aus Wissenschaft.de von Heute:

"Bei Ernteameisen gibt es nur dann Arbeiterinnen, wenn sich die Königin mit artfremden Männchen paart

Einige Arten von Ernteameisen haben im Lauf der Evolution eine ungewöhnliche Überlebensstrategie entwickelt: Sie produzieren sowohl reinrassigen Nachwuchs mit Männchen ihrer eigenen Art als auch Mischlingsnachkommen mit Männchen anderer Arten. Dabei wird das spätere Schicksal der Nachkommen nicht – wie bei nahezu allen anderen Ameisenarten – durch die Umweltbedingungen bestimmt, sondern ist genetisch festgelegt: Reinrassiger Nachwuchs entwickelt sich praktisch ausschließlich zu Königinnen, während die Mischlinge zu Arbeiterinnen werden. Das berichten Sarah Helms Cahan von der Universität in Lausanne und ihre Kollegen in der Fachzeitschrift Current Biology (Bd. 14, S. 2277).

Weibliche Ameisen gibt es im Allgemeinen in zwei Formen: Königinnen, die sich fortpflanzen können, und unfruchtbare Arbeiterinnen, die verschiedene Aufgaben im Ameisenstaat zu erledigen haben. Welche Rolle eine Ameise spielt, wird dabei zu einem bestimmten Zeitpunkt während der Entwicklung des Eis festgelegt. Bislang waren Biologen der Ansicht, dass ausschließlich die Umweltbedingungen zu diesem Zeitpunkt entscheiden, ob die Insekten Arbeiterinnen oder Königinnen werden.

Cahan und ihre Kollegen entdeckten nun jedoch in New Mexiko zwei Arten von Ernteameisen, die offenbar zugunsten einer größeren genetischen Vielfalt auf diese Flexibilität verzichtet haben. Bei diesen Arten unterscheiden sich die Königinnen und die Arbeiterinnen innerhalb eines Volkes genetisch sehr stark voneinander: Die Königinnen entstammen einer reinrassigen, artspezifischen Linie, während die Arbeiterinnen Gene zweier verschiedener Arten in sich vereinen. Als die Wissenschaftler versuchten, im Labor reinrassige Arbeiterinnen zu züchten, stellten sie fest, dass diese genetische Trennung nicht mehr rückgängig gemacht werden kann: Nur aus sehr wenigen dieser reinrassigen Eier entwickelten sich überhaupt Larven, und davon überlebte fast keine die Verpuppung.

Die Insekten bezahlen für ihre genetisch Variabilität mit ihrer Unabhängigkeit, schreiben die Forscher. Ohne die Männchen der jeweils anderen Art gäbe es keine Arbeiterinnen im Ameisenbau – und ohne Arbeiterinnen würden sowohl die Königin als auch die Nachkommen verhungern."

(Quelle: ddp/bdw – Ilka Lehnen-Beyel, 29.12.2004)

Edit:(31.12.2004) Der Ameisenforscher Prof. Dr. Buschinger kritisiert Teile des oben aufgeführten Textes in folgenden Worten:

Bei Ernteameisen gibt es nur dann Arbeiterinnen, wenn sich die Königin mit artfremden Männchen paart.

Einige Arten von Ernteameisen haben im Lauf der Evolution eine ungewöhnliche Überlebensstrategie entwickelt: Sie produzieren sowohl reinrassigen Nachwuchs mit Männchen ihrer eigenen Art als auch Mischlingsnachkommen mit Männchen anderer Arten. Dabei wird das spätere Schicksal der Nachkommen nicht – wie bei nahezu allen anderen Ameisenarten – durch die Umweltbedingungen bestimmt, sondern ist genetisch festgelegt: Reinrassiger Nachwuchs entwickelt sich praktisch ausschließlich zu Königinnen, während die Mischlinge zu Arbeiterinnen werden. Das berichten Sarah Helms Cahan von der Universität in Lausanne und ihre Kollegen in der Fachzeitschrift Current Biology (Bd. 14, S. 2277).

Weibliche Ameisen gibt es im Allgemeinen in zwei Formen: Königinnen, die sich fortpflanzen können, und unfruchtbare Arbeiterinnen, die verschiedene Aufgaben im Ameisenstaat zu erledigen haben. Welche Rolle eine Ameise spielt, wird dabei zu einem bestimmten Zeitpunkt während der Entwicklung des Eis festgelegt. Bislang waren Biologen der Ansicht, dass ausschließlich die Umweltbedingungen zu diesem Zeitpunkt entscheiden, ob die Insekten Arbeiterinnen oder Königinnen werden.

Cahan und ihre Kollegen entdeckten nun jedoch in New Mexiko zwei Arten von Ernteameisen, die offenbar zugunsten einer größeren genetischen Vielfalt auf diese Flexibilität verzichtet haben. Bei diesen Arten unterscheiden sich die Königinnen und die Arbeiterinnen innerhalb eines Volkes genetisch sehr stark voneinander: Die Königinnen entstammen einer reinrassigen, artspezifischen Linie, während die Arbeiterinnen Gene zweier verschiedener Arten in sich vereinen. Als die Wissenschaftler versuchten, im Labor reinrassige Arbeiterinnen zu züchten, stellten sie fest, dass diese genetische Trennung nicht mehr rückgängig gemacht werden kann: Nur aus sehr wenigen dieser reinrassigen Eier entwickelten sich überhaupt Larven, und davon überlebte fast keine die Verpuppung.

Die Insekten bezahlen für ihre genetisch Variabilität mit ihrer Unabhängigkeit, schreiben die Forscher. Ohne die Männchen der jeweils anderen Art gäbe es keine Arbeiterinnen im Ameisenbau – und ohne Arbeiterinnen würden sowohl die Königin als auch die Nachkommen verhungern. -(Unterstreichungen durch mich, A.B.) -

ddp/bdw – Ilka Lehnen-Beyel

Ich zitiere:“
Hier der link zum Abstract des Original-Artikels in der wissenschaftlichen Zeitschrift "Current Biology" (die Vollversion ist nur zugänglich, wenn man die Zeitschrift abonniert hat):
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Caste differentiation and reproductive division of labor are the hallmarks of insect societies [1]. In ants and other social Hymenoptera, development of female larvae into queens or workers generally results from environmentally induced differences in gene expression [2–4]. However, several cases in which certain gene combinations may determine reproductive status have been described in bees [5] and ants [6–9]. We investigated experimentally whether genotype directly influences caste determination in two populations of Pogonomyrmex harvester ants in which genotype-caste associations have been observed. Each population contains two genetic lineages [10]. Queens are polyandrous [11, 12] and mate with males of both lineages [6, 7], but in mature colonies, over 95% of daughter queens have a pure-lineage genome, whereas all workers are of F1 interlineage ancestry [6–8]. We found that this pattern is maintained throughout the colony life cycle, even when only a single caste is being produced. Through controlled crosses, we demonstrate that pure-lineage eggs fail to develop into workers even when interlineage brood are not present. Thus, environmental caste determination in these individuals appears to have been lost in favor of a hardwired genetic mechanism. Our results reveal that genetic control of reproductive fate can persist without loss of the eusocial caste structure.


Bisher konnte ich nur diesen abstract der Original-Arbeit einsehen, habe aber einen Sonderdruck bzw. eine pdf-Version des ganzen Artikels bei einem der Autoren angefordert.
Der erste Satz des "wissenschaft.de"-Berichts ist schon falsch: Es geht nicht um "artfremde" Männchen! (und auch im übrigen Text ist fälschlich von "Genen zweier verschiedener Arten" die Rede). Untersucht wurden zwei Populationen einer Pogonomyrmex-Art (Ernteameisen in Nordamerika, Lebensweise ähnlich Messor). Jede Population soll zwei "Linien" enthalten, also genetisch unterschiedliche Gruppen. Königinnen kopulieren mit mehreren Männchen, und zwar mit Männchen beider "Linien" oder "Genotypen". Das ist molekulargenetisch analysiert, wie auch der Rest: Es zeigte sich, dass 95 % der funktionellen Königinnen von Natur-Völkern reinerbig waren, also von Mutter und Vater denselben Genotyp (bezüglich Kastendetermination) erhalten hatten, z.B. aa oder bb. Dagegen sollen alle Arbeiterinnen für dieses Merkmal mischerbig sein (ab). Mit experimentell erzeugten Kreuzungen reiner Linien (z.B. aa x a) wurden Königinnen erzeugt, die eben nur "reinerbige" Eier legen konnten (aa). Solche Eier sollen sich nicht zu Arbeiterinnen entwickeln können.
Auch abgesehen von der gänzlich falschen Darstellung in "Wissenschaft.de" möchte ich das Ganze noch mit vorsichtiger Skepsis beurteilen. Eine Königinn des, sagen wir, Genotyps aa, verpaart mit 1 oder zufällig mehreren a-Männchen, aber nicht mit einem b-Männchen, wäre zum Scheitern verurteilt, ebenso eine bb x b, b, b... Eine königin mit aa x a + b,b,b wäre fein heraus, mit vielen Arbeiterinnen (ab) und hinreichender Zahl von Jungköniginnen (aa). Anders bei einer aa x b + a,a,a: Sie würde nur wenige ab-Arbeiterinnen haben, die ihre vielen aa-Jungköniginnen kaum aufziehen könnten. Wie gesagt: Vorsichtige Skepsis schon gegenüber dem Originalartikel (auch Wissenschaftler können irren; oder der abstract enthält nicht alle wesentlichen Informationen).
Etwas verwirrend ist in dem Abstract, dass zwei "Populationen" untersucht wurden, die jedoch ein- und derselben Art angehören. In jeder dieser Populationen gibt es die beiden Genotypen, die sich heterozygot zu Arbeiterinnen, homozygot zu Jungköniginnen entwickeln. In der Wissenschaft ist das ein übliches Vorgehen: Man findet etwas Ungewöhnliches, in einem Teil des Areals einer weit verbreiteten Art. Natürlich stellt sich sofort die Frage: "Ist das eine lokale Besonderheit, oder weist die Art insgesamt diese Besonderheit auf?" - Also nimmt man eine oder mehrere hinreichend weit entfernte Vorkommen derselben Art und sieht nach, ob das Merkmal dort auch verbreitet ist." Zitat Ende
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