Zur Systematik europäischer Tetramorium-Arten

Hier können wissenschaftliche Informationen zu Ameisen eingetragen werden.

Zur Systematik europäischer Tetramorium-Arten

Beitragvon earlant » 9. Mai 2006 17:27

In der Zeitschrift „Molecular Phylogenetics and Evolution xxx (2006) xxx–xxx“
(noch ohne exakte bibliografische Daten, da online-Vorab) ist eine Arbeit im Druck, die für die Benennung der europäischen Tetramorium-Arten Konsequenzen haben wird:

B. C. Schlick-Steiner, F. M. Steiner, Bernhard Seifert, M.Sanetra, E. Dyreson, C. Stauffer, E. Christian:
A multidisciplinary approach reveals cryptic diversity in Western
Palearctic Tetramorium ants (Hymenoptera: Formicidae)

(Multidisziplinärer Ansatz beweist kryptische Diversität bei west-paläarktischen Ameisen der Gattung Tetramorium)

Abstract : Diversity of ants of the Tetramorium caespitum/impurum complex was investigated in a multidisciplinary study. Focusing on morphologically hardly distinguishable Western Palearctic samples, we demonstrate the genetic and phenotypic diversity, demarcate phylogenetic entities, and discuss the clades in terms of biogeography. Sequences of 1113 bp of the mitochondrial COI gene revealed 13 lineages. COII data, worker morphometry and male genitalia morphology corroborated the COI results for seven lineages; the remaining six were disregarded because of small sample size. A comparison with published data on cuticular hydrocarbons showed correspondence.
The seven entities show different distribution patterns, though some ranges overlap in Central Europe. Since no major discrepancy between the results of the different disciplines became apparent, we conclude that the seven entities within the T. caespitum/impurum complex represent seven species. Geographical evidence allows the identification of T. caespitum and T. impurum, and we therefore designate neotypes and redescribe the two species in terms of morphology and mtDNA. As the revision of about 50 taxon names would go beyond the scope of this study, we refer to the remaining five species under code names. We discuss our findings in terms of plesiomorphy and convergent evolution by visualizing the mtDNA phylogeny in morphological space.


Ich erspare mir, diese Zusammenfassung zu übersetzen: Die ganze Arbeit ist ohnehin nur für Wissenschaftler zu verstehen.
Was für den Laien (und Ameisenhalter) herauskam: Es gibt in Westeuropa (und damit in Deutschland) innerhalb dessen, was bisher unter T. caespitum und T. impurum „gehandelt“ wurde, deutlich mehr Arten als die beiden bisher gebrauchten Namen vermuten ließen. Die Unterscheidung der nunmehr sieben zum T. caespitum / T. impurum-Komplex gehörenden Arten ist praktisch nur biochemisch-molekulargenetisch möglich, nur zum Teil auch anhand männlicher Genitalanhänge. Selbst die zwei Arten T. caespitum und T. impurum, für die neue Typen (neotypes) festgelegt werden mussten, wurden nun nicht nur morphologisch, sondern auch unter Einbeziehung von Merkmalen ihrer mitochondrialen DNS wiederbeschrieben. Die übrigen fünf bisher unerkannten Arten (alle bisher als T. caespitum oder T. impurum eingeordnet) wurden nicht formal mit Artnahmen versehen, sondern mit vorläufigen Code-Bezeichnungen.

Für die Praxis von Ameisenhaltung und Ameisenhandel hat dies die Folge, dass man die nach morphologischen Merkmalen als T. caespitum oder T. impurum bestimmten Völker korrekt nur noch als „Tetramorium sp. (T. caespitum / T. impurum-Komplex)“ bezeichnen kann (niemand wird in der Lage sein, für ein zum Verkauf bestimmtes Volk oder gar eine einzelne Königin die mitochondriale DNS zu analysieren; und es müsste jedes einzelne Volk charakterisiert werden!). Die sieben in der Arbeit unterschiedenen Arten wurden zunächst mit den Code-Bezeichnungen A bis G belegt, wobei G dann als T. impurum und F als T. caespitum identifiziert werden konnten.

Die Ameisensystematik wird nicht leichter!

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Beitragvon K Kris » 9. Mai 2006 20:23

Es freut mich, dass die lang erwartete Arbeit von den Steiners endlich die ersten Früchte, in Form eines Artikels, trägt. Ich hoffe innigst, dass die Arbeit vielleicht in den Myrmecologischen Nachrichten veröffentlicht wird!?

Gibt es denn irgendwelche Anzeichen auf mögliche geographische Grenzen der verschiedenen Spezies?
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Tetramorium-Systematik

Beitragvon earlant » 10. Mai 2006 11:07

Hallo K. Kris,

Die Arbeit ist ja nun bereits in der Zeitschrift „Molecular Phylogenetics and Evolution“ erschienen, da kommt sie sicher nicht auch noch in MN. – Als Wissenschaftler vermeidet man Doppel-Publikationen, das macht keinen guten Eindruck und wird auch von den Zeitschriften-Verlegern ausdrücklich nicht gewünscht bzw. sogar verboten. Zum Glück: Sonst müsste man noch viel mehr Arbeiten anfordern und wäre immer mal wieder enttäuscht, wenn man Bekanntes nochmals in die Hand bekäme.
Sie kennen ja die Schlick-Steiners. Da können Sie sich eine pdf-Version zumailen lassen!

Die Abb. 1 darin zeigt, dass die Verbreitungsgebiete sich weitgehend überschneiden. Natürlich können in der Abb. nur die (mitteleuropäischen) Orte eingetragen sein, von wo Tiere entnommen und analysiert wurden. Das Verbreitungsgebiet der 7 Arten zu bestimmen, ist vielleicht niemals möglich (könnte ja bei der einen oder anderen auch bis nach Ostasien reichen!).

Eine auch für Wissenschaftler sehr problematische Konsequenz der Arbeit ist, dass nun Tetramorium des caespitum/impurum-Komplexes aus Barberfallenfängen nicht mehr zugeordnet werden können (da geht die DNS-Extraktion nicht, und man müsste ja jedes einzelne Tier analysieren! Das wäre nicht billig), und dass eine solche Aufarbeitung auch mit genadeltem Material in den Sammlungen nicht möglich ist. Alle auf der Basis traditioneller Bestimmung benannten T. caespitum und T. impurum müssen nun ein Fragezeichen bekommen; alle Verbreitungsangaben für die beiden Arten sind wertlos geworden.

Selbst das schöne Freiland-Merkmal der jahreszeitlich früheren Geschlechtstieraufzucht bei „caespitum“ gilt nicht mehr: Was man jeweils in der Hand hat, könnte auch eine der anderen, noch nicht benannten Arten sein.

Wenn zunehmend mehr Tierarten biochemisch-genetisch charakterisiert werden (und das ist zu erwarten), sind wir bald in derselben Lage wie die Mikrobiologen: Die meisten Bakterien und Pilze sind bisher nicht züchtbar und lassen sich nur anhand ihrer DNS nachweisen, etwa in Bodenproben.

Mit freundlichen Grüßen,
Earlant
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