„Queen influence on the shift from trophic to reproductive eggs laid by workers of the ponerine ant Pachycondyla apicalis, V. Dietemann and C. Peeters, Insect soc. 47 (2000), p. 223-228
Vincent Dietemann und Christian Peeters haben vor einigen Jahren einen lesenswerten Artikel verfasst (s.o.), der Halter von Pachycondyla apicalis (und natürlich auch alle anderen Ameisen-Freunde) interessieren sollte. Wieder einmal zeigen sich bei den als ‚primitiv’ bezeichneten Ponerinen sehr interessante Verhaltensweisen. Leider hat der Begriff ‚primitiv’ einen negativen Beiklang – betrachtet man die Ponerinen aber genauer, dann ist vor allem ihr interessantes Zusammenleben ein Zeichen für eine nicht primitive, sondern eher komplexe Sozialstruktur, auch wenn diese im Vergleich zu ‚höheren’ Ameisenarten sicherlich ‚einfacher’, aber eben nicht primitiv (im negativen Wortsinn) strukturiert ist.
Christian Peeters war so freundlich mir den hier erwähnten Artikel zukommen zu lassen.
Eine Besonderheit vieler Ponerinen ist, dass sie entweder keine Königinnen haben, oder diese morphologisch kaum von der Arbeiterinnenkaste zu unterscheiden ist. Bekannt ist, dass bei einigen hundert Ponerinen die Arbeiterinnen die Fähigkeit der Nachwuchsproduktion nicht verloren haben. Sämtliche Arbeiterinnen sind bei solchen Arten in der Lage, die Rolle einer so genannten ‚Gamergate’ zu übernehmen. ‚Gamergate’ werden (nach Peeters) fortpflanzungsfähige Arbeiterinnen genannt, die begattet wurden und für die Nachwuchsproduktion innerhalb einer Kolonie verantwortlich sind (siehe auch meinen Artikel zu Gamergates hier im Forum). Solche Arten unterscheiden sich in einigen Aspekten erheblich von anderen Ameisenarten, die über eine Königinkaste verfügen. So läuft z.B. die Koloniegründung vollkommen anders ab (Knospung einer Kolonie in zwei eigenständige Kolonien). Auch das Zusammenleben in der Kolonie zeigt einige interessante Verhaltensweisen, wie die gezielte Bestrafung aufstrebender Arbeiterinnen (siehe Fotos in meinem Pachycondyla kruegeri Haltungsbericht im Exoten Forum).
Ich habe den Artikel von Dietemann / Peeters mehrfach mit Interesse gelesen, und dachte mir, dass ich ihn für euch kurz ins Deutsche zusammenfasse. Es geht in ihm darum, dass Arbeiterinnen von Pachycondyla apicalis bei Abwesenheit der Königin nicht länger trophische Eier legen, sondern haploide Eier. Wie es zu diesem Wechsel kommt, haben Dietemann und Peeters anhand mehrerer Kolonien von Pachycondyla apicalis untersucht. Interessant ist dies meiner Ansicht nach im Hinblick auf die evolutionären Vorgänge, die zu einer Abschaffung der Königinkaste führen können.
Ich habe nur das wichtigste zusammengefasst und einige Details zum Versuchsaufbau bewusst ausgelassen, da dies den Rahmen gesprengt hätte. Umfassende Details finden sich im Originaltext. Somit handelt es sich hier um einen deutschen Exzerpt des Originaltextes, mit einigen persönlichen Überlegungen von meiner Seite.
Worum es geht
Bei Pachycondyla apicalis sorgt eine einzige Königin für den Nachwuchs der Kolonie. Obwohl zwischen Königin und Arbeiterinnen nur geringe morphologische Unterschiede festzustellen sind (Körper wenige Millimeter größer, etwas breiterer Thorax), kann nur die Königin für Nachwuchs sorgen; die Arbeiterinnen sind darauf beschränkt Männchen oder trophische Eier zu produzieren, obwohl sie auch über eine Spermathek verfügen. In Anwesenheit der Königin legen die Arbeiterinnen aber überwiegend trophische Eier, die sich morphologisch von reproduktiven Eiern unterscheiden, und unmittelbar nach der Ablage der Königin zum Fraß angeboten wurden.
Pachycondyla apicalis Arbeiterin
Nun wurde festgestellt, dass Kolonien ohne Königin nicht länger trophische, sondern haploide Eier legten. Ist aber eine Königin vorhanden, dann werden von den Arbeiterinnen sehr oft nur trophische Eier gelegt. Die daraus resultierende Frage ist: wie signalisiert die Königin den anderen Arbeiterinnen ihre Anwesenheit.
Dietemann und Peeters untersuchten mehrere Kolonien, sowohl mit Königin, als auch ohne. Kolonien wurden von ihren Königinnen separiert und das Verhalten der Arbeiterinnen beobachtet. Bei einer Kolonie wurde die Königin auf Distanz von den Arbeiterinnen gehalten (kein direkter Kontakt), und ebenfalls das Verhalten der Arbeiterinnen und deren Eiablage beobachtet.
Bei einer von der Königin separierten Kolonie wurde festgestellt, dass 37 von 376 haploiden Eiern von anderen Arbeiterinnen vernichtet (gefressen) wurden, während sie von den Müttern zwischen den Mandibeln getragen wurden, was sich unter Umständen über mehrere Stunden hinzog. Sobald aber Eier zusammen mit anderen Eiern auf einem Haufen abgelegt wurden, wurden sie nicht mehr gefressen.
Bei der Kolonie, der physischer Kontakt zu ihrer Königin durch eine Abtrennung nicht möglich war, wurde wenige Stunden nach Trennung von der Königin eine gewisse ‚Wettkampfhaltung’ unter den Arbeiterinnen beobachtet. Elf Tage nach der Trennung begannen einige Arbeiterinnen mit der Ablage von lebenden, reproduktiven (haploiden) Eiern. Innerhalb der nächsten 10 Tage begannen weitere 19 Arbeiterinnen mit der Produktion haploider Eier. Arbeiterinnen, die bei Anwesenheit der Königin nachweislich trophische Eier gelegt hatten, begannen bei Abwesenheit der Königin mit der Ablage haploider Eier. In den von der Königin getrennten Kolonien wurde jeweils eine Arbeiterin beobachtet, die im Vergleich zu anderen Arbeiterinnen ein dominantes Verhalten zeigte und besser entwickelte Ovarien hatte (wie nach Versuchende durch Sektion festgestellt wurde).
Verlust des ‚Reproduktions-Monopols’ der Königin bei einigen Kolonien
Bei zwei beobachteten Kolonien legten einige wenige Arbeiterinnen trotz Anwesenheit der Königin haploide Eier. Manche Arbeiterinnen legten sowohl trophische, als auch haploide Eier. Einige Eier wurden von der Königin oder von anderen Arbeiterinnen gefressen. In diesen Kolonien wurden auch ‚Rangkämpfe’ unter einigen Arbeiterinnen beobachtet. Die Produktion haploider Eier durch Arbeiterinnen trotz Anwesenheit der Königin ist nicht die Regel. Warum es in diesen zwei beobachteten Kolonien dazu kam ist nicht eindeutig geklärt; vermutet wird, dass die Produktion von haploiden Eiern durch Arbeiterinnen in Anwesenheit der Königin ihre Ursache in einem Konflikt zwischen Königin und Arbeiterinnen in Bezug auf die Rangfolge innerhalb der Kolonie hat.
Bei den beobachteten Kolonien hielten sich die Königinnen (bevor die Kolonien getrennt wurden) die meiste Zeit in der Brutkammer auf, wo die von den Königinnen gelegten Eier gelagert wurden. Trotzdem bewegten sich die Königinnen immer wieder durch das Nest, wobei es zu einem intensiven Antennen-Kontakt zu den Arbeiterinnen kam, die darauf mit einem ‚Zusammenkauern’ reagierten. Die Häufigkeit dieser Kontrollgänge der Königin schwankte zwischen 1.5 und 4.6 pro Stunde. Allerdings konnte nicht eindeutig festgestellt werden, ob es einen direkten Zusammenhang zwischen diesen Kontrollgängen, der Ovarienaktivität der Königin, den Kontakten zu den Arbeiterinnen, und der Art der durch die Arbeiterinnen gelegten Eier gibt.
Signale der Königin an Arbeiterinnen
Wie gerade beschrieben kommt es bei Pachycondyla apicalis zu ‚Kontrollgängen’ der Königin durch das Nest, wobei Arbeiterinnen intensiven Antennenkontakt mit der Königin haben. Bei den von der Königin getrennten Kolonien ist dieser Kontakt nicht vorhanden. Dietemann und Peeters schließen aus ihren Beobachtungen, dass vermutlich ein ‚Königinnen-Pheromon’ eine maßgebliche Rolle beim Wechsel der Produktion von trophischen zu haploiden Eiern durch Arbeiterinnen spielt, dieses Pheromon aber nur bei direktem Kontakt Königin – Arbeiterin seine bestimmte Wirkung hat, welche die Arbeiterinnen in ihre reine Arbeiter Rolle drängt und die Produktion haploider Eier unterbindet.
Wird eine Kolonie von ihrer Königin getrennt, bzw. stirbt die Königin, dann beginnen Pachycondyla apicalis Arbeiterinnen haploide Eier zu legen. Da verlassene Pachycondyla apicalis Kolonien dazu verdammt sind einzugehen, versuchen die verlassenen Arbeiterinnen durch die Ablage haploider Eier, ihr Erbgut möglichst schnell vor dem Sterben der Kolonie in Form von Männchen weiterzugeben. Die für Ponerinen typische kleine Koloniegröße lässt vermuten, dass die ursprüngliche Königin nach deren Tod niemals durch eine neue Königin ersetzt wird.
Meine Gedanken zu diesem Artikel, meine Interpretation
Da bei Pachycondyla apicalis Rangkämpfe innerhalb der Arbeiterinnenkaste beobachtet wurden, vermute ich, dass Pachycondyla apicalis auf dem Weg zu einer königinlosen Ameisenart ist, und heute eine Zwischenform darstellt, die sowohl Königin, als auch fortpflanzungsfähige Arbeiterinnen aufweist. Eventuell ist Pachycondyla apicalis in der Entwicklung zu einer Koloniestruktur ähnlich wie bei Harpegnathos saltator, wo die Königin relativ früh nach Koloniegründung stirbt und durch eine Gamergate ersetzt wird, die durch regelrechte Rangkämpfe innerhalb der Kolonie ‚ausgekämpft’ wird. Ich denke, auch Harpegnathos saltator schafft die Königinkaste früher oder später ab, da sie keinen wirklichen Vorteil für die Kolonie hat.
Hinweise für einen eventuellen zukünftigen Verlust der Königinkaste bei Pachycondyla apicalis sind meines Erachtens:
• die für eine königinlose Art typischen Rangkämpfe unter den Arbeiterinnen,
• ebenso die typische geringe morphologische Differenz zwischen Arbeiterinnen und Königin und entsprechend entwickelte Ovarien bei den Arbeiterinnen mit gleichzeitigem Vorhandensein einer Spermathek,
• die Produktion haploider Eier bei einigen Arbeiterinnen trotz Anwesenheit einer Königin als eventuelles Zeichen für Rangkämpfe in der Kolonie.
Aufgrund dieser Punkte liegt es für mich nahe, dass Pachycondyla apicalis irgendwann einmal komplett ohne Königinkaste vorzufinden sein wird, wenn auch in ferner Zukunft. Interessant wäre die Erforschung der Gründe für eine solche Veränderung in der Koloniestruktur. Da aber hier unter Umständen hunderttausende von Jahren vergehen, wird die Erforschung wohl schwierig bleiben. Vermutlich sind es wohl Umwelteinflüsse, die Pachycondyla apicalis die Königinkaste eventuell ‚abschaffen’ lassen, so wie es bei anderen Ponerinen in der Vergangenheit bereits erfolgt ist.




