Myrmecina graminicola: Herkunft des Sexualpheromons ?

Hier können wissenschaftliche Informationen zu Ameisen eingetragen werden.

Re: Myrmecina graminicola: Herkunft des Sexualpheromons ?

Beitragvon derameisige » 18. Jul 2018 09:36

Bei Myrmecina graminicola stammt der weibliche Sexuallockstoff nach Verhaltensexperimenten (u. a. Reaktion von Männchen auf den Inhalt freipräparierter Drüsen) eindeutig aus der Giftdrüse. In einer neuen Arbeit werden Zweifel daran geäußert.
Ameisenhaltern mag der Inhalt dieses Beitrags erklären, weshalb Myrmica sp.-Männchen im Formikar immer wieder versuchen, mit Arbeiterinnen zu kopulieren.

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New chemical data on the ant Myrmecina graminicola (Formicidae, Myrmicinae): Unusual abundance of alkene hydrocarbons and esters.
Alain Lenoira, Alix Khalila, Nicolas Châlineb, Abraham Hefetz.
(Neue chemische Befunde bei Myrmecina graminicola (Form., Myrm.): Ungewöhnliche Häufigkeit von Alken-Kohlenwasserstoffen und Estern.)

Biochemical Systematics and Ecology
Volume 80, October 2018, Pages 39-42

Keywords: Ants Esters Hydrocarbons Poison gland Mymecina

ABSTRACT
We investigated the possible origin of the specific odor of the terricolous ant Myrmecina graminicola by elucidating its pattern of volatiles. It appeared to have a very large hypertrophied poison gland reservoir, which contains copious amounts of acetate and propionate esters that are also present on the cuticule. The poison gland was previously reported as the source of sex pheromone, but the finding that queens and workers exhibited the same ester patterns tends to refute their role in sex attractants, and their biological significance remains elusive. The composition of cuticular hydrocarbons in this species is also highly original as it mostly comprises alkadienes and alkatrienes (70%), which is unusual and may be an adaptation to subterranean life. Neither the esters nor the cuticular hydrocarbons vary qualitatively and quantitatively between various localities in France, including Corsica.

Zusammenfassung
Die erdbewohnende Myrmecina graminicola hat einen spezifischen Geruch, dessen Ursprung wie durch Analyse ihrer flüchtigen Verbindungen untersuchten. Wir fanden, dass sie sehr große, hypertrophierte Giftdrüsen-Reservoire hat, die große Mengen von Acetat- und Propionat-Estern enthält, die auch auf der Cuticula zu finden sind.
Die Giftdrüse hat man früher als Quelle des Sexuallockstoffes dargestellt. Doch weisen Königinnen und Arbeiterinnen dasselbe Muster an Estern auf, was gegen diese Deutung spricht. Die biologische Funktion dieser Verbindungen bleibt schwer erklärbar.
Die Zusammensetzung der cuticularen Kohlenwasserstoffe ist auch sehr besonders, da sie hauptsächlich Alkadiene und Alkatriene (70 %) umfassen, was ungewöhnlich ist und eine Anpassung an die unterirdische Lebensweise sein könnte. Weder die Ester noch die cuticularen Kohlenwasserstoffe unterscheiden sich qualitativ und quantitativ zwischen verschiedenen Fundorten in Frankreich einschließlich Korsika.

Anmerkungen des Referenten: Der Befund, dass Giftdrüsensekret als Sexualpheromon bei M. graminicola dient, stammt aus unseren Untersuchungen (einschließlich Zucht dieser Art über mehrere Generationen).
Die Autoren berücksichtigen leider nicht, dass dieselben Verbindungen in unterschiedlichem Kontext ganz verschiedene Funktionen haben können: Was bei Gynen der Anlockung und Stimulation der Männchen dient, kann bei Arbeiterinnen als Spurpheromon ganz ähnliche Bedeutung haben, „übersetzt“ etwa: „komm her, komm mit!“ - Im Freiland werden diese Verbindungen an unterschiedlichen Stellen eingesetzt, zur Paarung an der Oberfläche; zur Rekrutierung auf unterirdischen Laufwegen.
Wir haben beobachtet, dass in der Enge der Labor-Formikarien Männchen auch auf Arbeiterinnen aufreiten, und manchmal sogar zur Verhängung gelangen. Ungeklärt ist bisher, weshalb so etwas zum Tod der Arbeiterinnen führt. Siehe Zitat am Ende dieses Beitrags *)

Bei Harpagoxenus sublaevis dient das Giftdrüsensekret den Gynen als Sexpheromon. Bei Arbeiterinnen ist es das Tandem-Pheromon auf dem Sklavenraubzug.

Bei Myrmica spp. Wird von Haltern immer wieder berichtet, dass Männchen im engen Formikar bei Arbeiterinnen aufzureiten versuchen.

Meines Erachtens ist mit der hier referierten Arbeit keinesfalls widerlegt, dass das Giftdrüsensekret der Gynen als Sexuallockstoff dient!

Literatur *) Hyperlinks sind nur für registrierte Nutzer sichtbar
„Für Arbeiterinnen tödliche Paarungen bei der Ameise Myrmecina graminicola (Hymenoptera: Formicidae)“.

Myrmecina ArbPaarung web.jpg
Myrmecina graminicola: Verhängung eines Männchens mit einer Arbeiterin. Diese stirbt nach der Verhängung.
Siehe auch im AP: http://www.ameisenportal.eu/viewtopic.p ... =633#p4187

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Re: Myrmecina graminicola: Herkunft des Sexualpheromons ?

Beitragvon Serafine » 18. Jul 2018 11:23

derameisige hat geschrieben:Die Autoren berücksichtigen leider nicht, dass dieselben Verbindungen in unterschiedlichem Kontext ganz verschiedene Funktionen haben können: Was bei Gynen der Anlockung und Stimulation der Männchen dient, kann bei Arbeiterinnen als Spurpheromon ganz ähnliche Bedeutung haben, „übersetzt“ etwa: „komm her, komm mit!“ - Im Freiland werden diese Verbindungen an unterschiedlichen Stellen eingesetzt, zur Paarung an der Oberfläche; zur Rekrutierung auf unterirdischen Laufwegen.

Etwas verwunderlich, zumal doch schon sehr gut bekannt ist, dass derselbe Wirkstoff unterschiedliche Reaktionen auslösen kann, z.B. bei Oecephylla Flucht bei den "Minors" und Angriff bei den "Majors" (Oecephylla ist ja polymorph, deswegen die Gänsefüßchen). Das macht auch aus ökonomischer Sicht Sinn, man muss nicht für jeden Zweck eine neue Chemikalie synthetisieren und solange die dadurch verursachten Verluste der "Fehlerquote" unter den Kosten für die Herstellung und Speicherung einer zusätzlichen Chemikalie steht sollte sich das auch evolutionär so durchsetzen (zumal viele solcher "Fehler" auch primär in der Haltung aufzutreten scheinen und seltener im Freiland).
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Re: Myrmecina graminicola: Herkunft des Sexualpheromons ?

Beitragvon derameisige » 19. Jul 2018 20:02

Ich habe nur mitgeteilt, was die Verfasser geschrieben haben; bin nicht Mitautor, und hatte deren Manuskript auch nicht zu begutachten. Sonst hätte ich sie davon überzeugen können, dass meine Deutung des Giftdrüseninhalts als Sexpheromon richtig ist.

Leider ist nun zu befürchten, dass in einer Revision z. B. des Sexualverhaltens der Ameisen ein Autor(enteam) schreiben wird: „Die Annahme (Buschinger 2003), dass bei M. graminicola das Sexualpheromon aus der Giftdrüse stammt, konnte durch Lenoir et al. (2018) entkräftet werden.“ - Oder so ähnlich.

Begriffe, Termini, lösen Assoziationen aus, Vorstellungen von dem, was gemeint sein könnte, und das ist je nach Vorwissen oft verschieden. Das kann sogar beim richtigen Gebrauch der Begriffe zu falschen Annahmen und Vorurteilen führen.
Zur Verdeutlichung:
In jungen Jahren, kurz nach der Promotion, entdeckte ich zufällig das „Locksterzeln“ des Sklavenhalters Harpagoxenus sublaevis, und zwar bei „ergatoiden“ resp. intermorphen Weibchen. (Später fand ich heraus, dass auch die geflügelten "Vollweibchen", Gynomorphen, dasselbe Verhalten zeigten, ohne dass sie vorher (viel) flogen).
Beim Sezieren solcher Tiere kamen sehr große Dufoursche Drüsen zum Vorschein, viel größer als bei der Wirtsart Leptothorax acervorum. Die Giftdrüse erschien nicht ungewöhnlich groß.
Die Giftdrüse enthält Gift, klar doch. Also musste die Dufourdrüse das bis dahin unbekannte Verhalten auslösen. Über deren Funktion(en) wusste man damals ohnehin kaum etwas. - Doch alle Versuche mit deren Inhalt ließen die Männchen kalt. Nur mit ganzen, zerdrückten Gastern (mit dem Inhalt aller Drüsen, Mittel- und Enddarm etc.) waren Aufreitversuche auf das Präparat zu triggern.
Da kam eine Arbeit von B. Hölldobler (1971) heraus, in der er beschrieb, dass bei Xeromyrmex floridanus ein Sexpheromon aus der Giftdrüse stammte. Das brachte meine Voreingenommenheit zu Fall. Der erste Versuch mit Giftdrüseninhalt machte die Männchen verrückt. Bingo!

Damals war das noch ein Kurzmitteilung in der renommierten Zeitschrift „Die Naturwissenschaften“ wert. (Buschinger, A. 1972: Giftdrüsensekret als Sexualpheromon bei der Ameise Harpagoxenus sublaevis.- Die Naturwissenschaften 59, 313-314.) - Damals konnte man auch noch auf Deutsch publizieren; sogar Nobelpreisträger Karl von Frisch, der Entdecker der „Bienensprache“ tat das!

Doch es geht weiter mit dem Einfluss der Terminologie auf das Verständnis: In Zusammenarbeit mit einer Gruppe von Biochemikern sollte die chemische Identität des Pheromons geklärt werden. Ein Kandidat machte sich im Rahmen seiner Doktorarbeit daran. Ich lieferte die Giftdrüsen und testete mit den Männchen einzelne Fraktionen. Doch es war einfach nichts zu finden!
Nutzen die Gynen ihre hochgereckten Stachel etwa als Funkantenne? (Es war ein etwas bitterer Scherz) - Unsinn. Das Tröpfchen an der Spitze des Stachels muss doch etwas enthalten.
Der Trugschluss bei den Chemikern war: Ameisen > Giftdrüse > Ameisengift = Ameisensäure! Also suchten sie nur nach sauren Verbindungen...
Schließlich wurden auf chemischem Wege Säuren und Basen getrennt: Der wirksame Anteil des Sekrets war basisch, nicht sauer. Und die weitere Analyse ergab, dass es Alkaloide waren, darunter ein sogar bisher unbeschriebenes, das den Namen „Leptothoracin“ erhielt (es ist bei allen untersuchten Arten der Gattung Leptothorax vorhanden, gemischt mit verwandten Verbindungen in variablen Mengenverhältnissen). (Lit.: Reder, E., Veith, H.J., Buschinger, A. 1995: Neuartige Alkaloide aus dem Giftdrüsensekret sozialparasitischer Ameisen (Myrmicinae: Leptothoracini). Helvetica Chimica Acta 78, 73-79. - Die Redaktion hat routinemäßig die Beiträge auf Deutsch und Englisch publiziert).

Sollte man nun die althergebrachte Bezeichnung „Giftdrüse“ (abgeleitet von den uralten ersten Analysen des Sekretes aus Formica-Giftdrüsen) über Bord werfen und einen neuen Terminus erfinden, etwa „Gift-Sexpheromon-Tandem-Spur-Drüse“? - Offensichtlich Nonsense. „Kommunikationsdrüse“ - ebenfalls Unsinn, denn Ameisen haben sehr zahlreiche Drüsen, die art- bzw. gattungsspezifisch für diese Funktionen eingesetzt werden. So bleibt man doch besser bei dem alteingeführten Terminus „Poison gland“ = Giftdrüse, auch wenn sie von Fall zu Fall, sogar intraspezifisch, ganz andere Funktionen haben kann.

A. Buschinger
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