Deutschlands Ameisenwelt von ihrer schönsten Seite

Ameisenerlebnisse von Reisen oder Exkursionen

Deutschlands Ameisenwelt von ihrer schönsten Seite

Beitragvon AntsInSL » 6. Jun 2011 16:05

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Für vier Tage ging es in den "Süden". Die Bayern werden jetzt sicher dementieren, dass der Spessart in Hessen der Süden Deutschlands ist, doch für uns von der dänischen Grenze ist es so.
Los ging es in die kleine Kurstadt Bad Orb.
Voller Erwartung saß ich neun Stunden im Auto, doch gerade diesen Mittwochabend mussten die Autofahrer einen kilometerlangen Stau produzieren.
In diesem Moment wünschte ich mir, unsere Straßen wären genauso gut organisiert wie die der Ameisen.
Ich freute mich auf eine vielfältige und große Ameisenpopulation, hatte aber keine Ahnung, was mich wirklich erwarten würde ;)
Entspannt konnte ich aber sein, denn bei uns oben gibts nur Lasius spec. und Myrmica spec., das ist ja leicht zu toppen.
Hauptziel: Camponotus ligniperdus, ich hoffte, eine kleinere Kolonie samt Gyne zu finden.
Enttäuscht wurde ich nicht, eher überwältigt, wie ihr weiter unten lesen könnt..

a.JPG
Blick von den umliegenden Hügeln auf Bad Orb
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c.JPG
Zuletzt geändert von AntsInSL am 6. Jun 2011 19:07, insgesamt 1-mal geändert.
AntsInSL
 

Re: Deutschlands Ameisenwelt von ihrer schönsten Seite

Beitragvon AntsInSL » 6. Jun 2011 16:53

Der erste Tag

Blauer Himmel, strahlende Sonne und eine bullige Hitze.
Gleich morgens ging es um 9h los, raus aus Bad Orb und rauf auf den Wartturm, der gut sichtbar oben auf einem Hügel über Bad Orb steht.
Am Wegesrand immer wieder flache Sandsteinplatten, ein Dauerrenner bei den Ameisen, wie ich bald feststellen konnte.
Es gab keinen Stein, unter dem nicht zumindest Temnothorax nylanderi zu finden war. Formica fusca ist aber defintiv die am häufigsten vorkommende Ameisenart.
Und so war es kein Wunder, dass der erste Fang des Tages eine Formica fusca Kolonie mit 5 Gynen und vielen Arbeitern war.
Den Rest der Kolonie dürfte der Verlust nicht allzuschwer treffen, da sich noch mindestens vier weitere Gynen im Nest befinden,
die schnell in die sicheren Gänge abtauchten. Die Brut habe ich ihnen auch gelassen, weil sie zur Zeit viele Jungköniginnen für den Schwarmflug aufziehen.

Anschließend schaute ich zufriedengestellt ;) den Waldameisen (Formica rufa) beim Nestbau zu. Der Winter und die Schneeschmelze hatten ihre mühevoll errichteten Hügel komplett auf die Straße geschwemmt.
So herrschte ein emsiges Treiben und man konnte gut sehen, dass als Basis der Nester so gut wie immer ein toter Baumstumpf genutzt wird.
Am Nachmittag ging es dann auf Wandertour, natürlich nicht ohne "Ameisenrucksack".
Alle zwei Meter befanden sich unter den Steinplatten Nester von Camponotus ligniperdus, Serviformica spec. und Formica sanguinea.
Königinnen waren, die Serviformica mal ausgenommen, nicht zu sehen.
Aber die Sandsteine scheinen es den Ameisen echt angetan zu haben, nur dort waren sie zu finden. Camponotus im Totholz? Fehlanzeige.
Alles leben spielte sich hinter den gelblichen Platten ab.

d.JPG
Die besagten Steinplatten


Es ist schon beeindruckend, wenn man von außen gar nichts sieht und kaum hat man den Stein angehoben, strömen hunderte Formica sanguinea darunter hervor.
Ich hatte mir auch erhofft, vielleicht eine Formica sanguinea Gyne zu finden, aber sie sind zu aggressiv, kaum stört man die Nestruhe ist im Umkreis von zwei Metern alles voll mit ihnen.
Einmal habe ich eine Camponotus Kolonie fotografiert und erst viel zu spät gemerkt, dass ich mit den Füßen in einem Formica sanguinea Nest stand, die halbe Kolonie war in meinen Schuhen,
da hilft nur noch ausziehen und die Kamera wegwerfen :D
In Sachen Camponotus blieb ich heute erfolglos, keine Gyne war zu sehen. Dafür habe ich beim abendlichen Rundgang eine schöne Temnothorax nylanderi Kolonie samt Gyne gefunden.
AntsInSL
 

Re: Deutschlands Ameisenwelt von ihrer schönsten Seite

Beitragvon AntsInSL » 6. Jun 2011 18:22

Der zweite Tag

Strahlend blauer Himmel, die Temperatur schraubt sich auf 28 °C im Schatten hoch.
Ich bin wieder den ganzen Tag unterwegs und finde so Einiges. Großes Glück hatte ich, als ich unter einem Stein eine kleinere Lasius niger Kolonie samt munterer Königin
finden konnte. Bisher habe ich noch nie die Königin bei Lasius niger gefunden, von da her war ich sehr erstaunt, als sie mir entgegen krabbelte.
Sie sind jetzt in eine Ferrero-Arena mit angeschlossenem Reagenzglas gezogen. Die ersten beiden neuen Arbeiterinnen sind aus den mitgenommenen Puppen geschlüpft,
so dass es jetzt ca. 20 Tiere sind. Die Königin zeigt sich sehr legefreudig und hat trotz des Stresses während der Fahrt ca. 20 Eier gelegt!
Kurz danach fand ich unter einem anderen Stein eine Lasius spec. Gyne, wer weiß was das ist. Ich hoffe, dass es sich um eine claustral gründende Art handelt,
sie ist zumindest erstmal im Gründungsreagenzglas, abgedunkelt und mit der Kanüle ein wenig gefüttert. Wenn die Gründung nicht in die Pötte kommt,
werde ich eins, zwei Lasiuspuppen anbieten.
Unter einem Baum fand ich am Nachmittag die größte Formica sanguinea Kolonie während meines Aufenthaltes.
Das unterirdische Nest erstreckte sich über ein Feld von 2m x 1m.
Aber wie hält man Formica sanguinea und formica rufa auseinander? Zunächst einmal ist zu beachten, dass Formica sanguinea im Gegensatz zu Formica rufa keine strukturierten Hügel baut,
sondern unterirdisch lebt. Es gibt einige unter Vergrößerung sichtbare Körpermerkmale, davon am Besten zu erkennen, der rötlich gefärbte Kopf der größeren Arbeiterinnen.
Allerdings gibt es auch Kolonien mit komplett schwarzen Köpfen. Sehr gut zu erkennen: bei Formica sanguinea leben immer Serviformica Arbeiterinnen mit im Bau.

e.JPG
Gut zu sehen ist der arttypisch rotgefärbte Kopf.


IMG_6045.JPG
Die Nester besitzen nur selten einen überirdischen Teil und sind äußerst unauffällig.


g.JPG


l.JPG
Gerade in großen Kolonien kommen viele Serviformica-Arbeiterinnen vor.


h.JPG


i.JPG


k.JPG
AntsInSL
 

Re: Deutschlands Ameisenwelt von ihrer schönsten Seite

Beitragvon AntsInSL » 6. Jun 2011 19:04

Der dritte Tag

Ich habe Glück, das gute Wetter hält sich.

Jetzt war die letzte Gelegenheit, noch eine Camponotus ligniperdus Kolonie samt Königin zu finden. Ich war etwas missmutig gestimmt,
da ich an diesem Tag nur zwei Stunden Zeit hatte. Trotzdem gab ich nicht auf und machte mich auf den Weg - zu meinem Glück: Ausdauer gewinnt.
Aufgrund der Trockenheit hatten sich die Blattläuse explosionsartig vermehrt und manche Pflanzen waren schwarz. Natürlich waren hier Lasius nicht weit.
Lasius niger, Lasius emarginatus und Lasius brunneus waren fleißig am Melken.

1.JPG


2.JPG
Beschützen...


3.JPG
...und melken


Meise, liebe Meise, wer raspelt am Holz? Eindeutig Lasius niger und Serviformica.

1a.JPG


1b.JPG
Das Holz ist nicht unbewohnt.


1c.JPG


Eine Temnothorax nylanderi Kolonie mit königlicher Brut:

Temno.JPG


Dann kurz bevor ich schon aufgeben wollte, entdeckte ich einen verlassenen Formica sanguinea Bau. Es war keine Außenaktivität zu sehen,
ich wollte trotzdem genauer nachschauen und drehte den miteingebauten Stein um. Und was kam darunter völlig verstaubt und hektisch herumkrabbelnd zum Vorschein?
Eine kleine Camponotus ligniperdus Kolonie inklusive Königin. Schnell habe ich ersteinmal die Königin in ein Reagenzglas verfrachtet und anschließend
in ein größeres Gefäß alle Arbeiterinnen (ca. 40) mit Brut gesammelt. Natürlich kam die Königin dann wieder dazu, ich wollte sie nur ersteinmal "sicher" haben.

c1.JPG
Das verlassene Formica sanguinea Nest, in das sich die Camponotus ligniperdus eingenistet haben.


c2.JPG
Hier ist die Kolonie


c3.JPG
Ihre Majestät ist fotoscheu!


IMG_6055.JPG


Zum Schluss noch einmal großes Glück gehabt. Am nächsten Morgen ging es dann mit Formica fusca, Temnothorax nylanderi, Lasius niger, einer unbestimmten Gyne und Camponotus ligniperdus
im Gepäck zurück nach Hause.
AntsInSL
 

Re: Deutschlands Ameisenwelt von ihrer schönsten Seite

Beitragvon uta » 7. Jun 2011 16:52

Wenn ein Nordlicht auf Reisen geht, dann kann er was erleben... :grin: ... und die Geduld eines Ameisenhalters wurde reichlich belohnt, sogar die "Wunschameise" ging Dir zu guter letzt noch ins "Netz"...äähm ins Reagenzglas.
Schöner Bericht untermauert mit passenden Fotos und erfrischend geschriebenem Text. =D> Danke, AntsInSL!
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Re: Deutschlands Ameisenwelt von ihrer schönsten Seite

Beitragvon AntsInSL » 7. Jun 2011 20:14

Danke für die Blumen ;)
AntsInSL
 


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