Harpegnathos saltator – Besondere Art der Kolonie Erhaltung

Hier können wissenschaftliche Informationen zu Ameisen eingetragen werden.

Harpegnathos saltator – Besondere Art der Kolonie Erhaltung

Beitragvon Stefan_K » 1. Mai 2006 22:44

Harpegnathos saltator
Eine besondere Art der Kolonie-Erhaltung durch Königin und reproduzierende Arbeiterinnen (Gamergates)


1.) "Reproductive cooperation between queens and their mated workers: The complex life history of an ant with a valuable nest“, C. Peeters, B. Hölldobler, Proc. Natl. Acad. Sci. USA, Vol 92 November 1995, pp. 10977-10979
2.) "Worker policing limits the number of reproductives in a ponerine ant”, J. Liebig, C. Peeters, B. Hölldobler, The Royal Society 1999, pp. 1865-1870
3.) “Sexual reproduction by both queens and workers in the ponerine ant Harpegnathos saltator”, C. Peeters, J. Liebig, B. Hölldobler, Insect Soc. 47 (2000), pp. 325-332


Zusammenfassung

Stirbt die Königin einer monogynen Ameisenkolonie, dann stirbt üblicherweise früher oder später auch der Rest der Kolonie, da die Arbeiterinnen der Kolonie nicht zur Fortpflanzung fähig sind. Nicht so bei Harpegnathos saltator – hier stirbt die Königin relativ früh nach Nestgründung (vermutlich immer innerhalb der ersten 2-3 Jahre). Nach dem Tod der Königin übernimmt dann aber eine der Arbeiterinnen die Produktion von diploidem Nachwuchs: diese so genannte Gamergate, welche durch regelrechte ‚Ringkämpfe’ unter den dominanten Arbeiterinnen ausgekämpft wird, wurde im eigenen Nest von Männchen der eigenen Kolonie begattet. Es kommt bei Harpegnathos saltator also zu ‚Inbreeding’, i.e. Inzucht. So wird der Fortbestand der Kolonie auch nach dem Tod der Königin gewährleistet!

Zu diesem äußerst interessanten Thema liegen mehrere ausführliche Untersuchungsberichte vor, die ich mit großem Interesse gelesen habe, und die ich nun hier für euch einmal kurz darstellen möchte. Ich kann jedem die Originaltexte (s.o.) nur empfehlen – sie geben einen Einblick in erstaunliche ‚Schlenker’ der Ameisen-Evolution. Interessant für alle an Ameisen interessierte, und nicht nur für irgendwelche ‚Spezialisten’ ... ;)

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Die Lebensgeschichte einer Kolonie Harpegnathos saltator ist unter Ameisen außergewöhnlich, da sowohl Königinnen, als auch Arbeiterinnen für den Nachwuchs sorgen können. ‚Frisch’ begattet Königinnen gründen alleine neue Kolonien. Später aber werden einige der Arbeiterinnen ebenfalls begattet und übernehmen die Produktion diploidem Nachwuchses, sollte die Königin sterben. Wahrscheinlich ist diese besondere Art der Kolonie-Erhaltung mit der Art der Nester von Harpegnathos saltator verbunden: diese Ameisen erstellen relativ komplexe Nester im Boden, die so erstellt werden, dass sie Überflutungen standhalten. Da diese komplexen Nester nur unter erheblichem Aufwand erstellt werden können, sind sie für die Kolonie äußerst wertvoll. Auch nach dem Tod der Königin versucht die Kolonie das Nest (und die Kolonie) zu erhalten. So kommt es innerhalb der Kolonie zu einer Begattung einiger der Arbeiterinnen (falls einige nicht schon beim Tod der Königin bereits begattet sind) – die Begattung erfolgt, wie oben bereits erwähnt, durch Männchen der eigenen Kolonie. Aufgrund dieser ‚Inzucht’ (Inbreeding) ist der anschließend produzierte Nachwuchs eng mit der begatteten Arbeiterin verwandt. Da das Nest für Harpegnathos saltator äußerst wichtig ist, kommt es nach dem Ersatz der verstorbenen Königin durch eine begattete Arbeiterin nicht zu einer Abspaltung der ‚neuen’ Tochterkolonie. Es kommt auch, trotz Fehlen der Königin, zu einer Produktion neuer Königinnen, die dann das bestehende Nest (wie üblich) verlassen, und nach einer Begattung neue Kolonien gründen. Das bedeutet, dass neue Kolonien ausschließlich durch Königinnen gegründet werden können. Der Fortbestand der Kolonie nach dem Tod der Königin wird bei Harpegnathos saltator aber von begatteten Arbeiterinnen (Gamergates) übernommen. Peeters und Hölldobler nehmen an, dass das komplizierte Nest der Grund dafür ist, dass nach dem Tod der Königin die Nachwuchsproduktion durch begattete Arbeiterinnen aufrechterhalten wird.

Im Lebenszyklus einer Kolonie Harpegnathos saltator sind also zwei Koloniestrukturen zu beobachten: solche, wo eine Königin für die Nachwuchsproduktion sorgt, und Arbeiterinnen trotzdem das Potential haben, begattet zu werden und ebenfalls für Nachwuchs zu sorgen, und solche Kolonien, wo die Königin gestorben ist, und die Nachwuchsproduktion durch begattete Arbeiterinnen übernommen wird. Bei letzterer Koloniestruktur bleibt der Großteil der Arbeiterinnen ‚unfruchtbar’ (wobei hier unfruchtbar hier nicht als ‚für immer unfruchtbar’ zu verstehen ist). Nach dem Tod der Königin kommt es üblicherweise zu Rangkämpfen unter den in der Rangfolge am höchsten stehenden (bereits begatteten) Arbeiterinnen: entweder ‚duellieren’ sich die Arbeiterinnen untereinander (eine Art Boxkampf mit Mandibeln und Antennen, während die Tiere sich vor und zurück bewegen), oder sie beißen sich in gegenseitig in den Körper, oder bespringen sich gewaltsam.

Bild
Festsetzen einer begatteten Harpegnathos saltator Arbeiterin (Quelle: „Worker policing ...“ (s.o.))

Werden ‚unfruchtbare’ Arbeiterinnen von der bestehenden Kolonie separiert, dann kommt es zu einer Entwicklung der Ovarien bei diesen Arbeiterinnen. Unfruchtbar bedeutet im Zusammenhang der Untersuchungen die Aktivität der Ovarien, und nicht, dass eine lebenslange Unfruchtbarkeit vorliegt. Nachdem die zuvor unfruchtbaren Arbeiterinnen in Separation von der bestehenden Kolonie nach ca. 9 bis 11 Tagen ebenfalls begannen Eier zu legen, wurden sie mitsamt der Eier zur alten Kolonie zurückgegeben. ‚Unfruchtbare’ Arbeiterinnen des Kolonieteils mit reproduzierender Königin oder Gamergate begannen dann, die nun Eier legenden Arbeiterinnen anzugreifen und zum Teil für Stunden festzusetzen. Auch kam es zu einem Anspringen der nun reproduzierenden Arbeiterinnen durch Arbeiterinnen der Ursprungskolonie. Arbeiterinnen von Harpegnathos saltator sind untereinander sehr sensitiv in Bezug auf die Ovarienaktivität der Mit-Arbeiterinnen.

Am Ende des Experimentes hatten alle Arbeiterinnen, die von der Kolonie separiert wurden und begannen Eier zu legen, ihre Reproduktionstätigkeit nach Rückführung in die Ursprungskolonie wieder eingestellt, mit Ausnahme von 5 Arbeiterinnen einer der untersuchten Kolonien. Diese Arbeiterinnen verhielten sich nun wie ‚neue’ Gamergates, und zeigten ebenfalls die üblichen ‚Rangkämpfe’ untereinander.

Hier der Lebenszyklus von Harpegnathos saltator Kolonien schematisch dargestellt. Basierend auf einer Darstellung in „Reproductive cooperation ...“ (s.o.)

Bild

• Königin und Gamergates existieren zur selben Zeit
o Königin stirbt
• Nur Gamergates bestehen und produzieren Gynen und Männchen
o Hochzeitsflug der ‚neuen’ Königinnen und Männchen
o Mutterkolonie besteht weiter mit Gamergate(s) an der Spitze
• Begattete Königin gründet neue Kolonie
• Nach Koloniegründung besteht eine Kolonie aus Königin und unbegatteten Arbeiterinnen
o Einige Arbeiterinnen werden im Nest begattet (Inbreeding)
• Königin und Arbeiterinnen (davon einige begattet, aber gehemmt bzw. unterdrückt)
• Zurück zum Anfang

Meine Überlegung, auf die ich bisher keine Antwort finden konnte:

Sind solche Harpegnathos saltator Kolonien, in denen nicht länger eine Königin für den Nachwuchs sorgt, sondern begattete Arbeiterinnen, in gewisser Weise ‚unsterbliche’ Kolonien? Was geschieht mit der Kolonie nach dem Tod der führenden Gamergate? Wird auch sie wieder von einer neuen Gamergate ersetzt? Sollte dies der Fall sein, dann sind Harpegnathos saltator Kolonien wirklich in gewisser Weise ‚unsterblich’. Oder wird zu irgendeinem Zeitpunkt doch externes Genmaterial (in Form von Männchen fremder Kolonien) zum Fortbestand der Kolonie benötigt? ‚Inbreeding auf Dauer’ sollte doch von Nachteil für die Kolonie sein.

Eventuelle Diskussionen bitte in einem separaten Thread in 'Diskussion allgemein' und NICHT hier, um die Übersichtlichkeit zu wahren. Danke! :)

Liebe Grüsse,

Stefan
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Beitragvon Stefan_K » 2. Mai 2006 19:41

Nachtrag:

Einige Zusatzinformationen zum Thema finden sich auf den Internetseiten der Uni Würzburg unter

Hyperlinks sind nur für registrierte Nutzer sichtbar

[web]http://www.uni-wuerzburg.de/blick/2004-1/041d11-t.html[/web]

Da man im Internet leider nie weiß, wie lange Informationen zugänglich bleiben, weiter unten die obige Seite als .pdf (gezippt) zum Download.

Gruss.
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