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[Stefan_K]

Gamergates – Begattete Arbeiterinnen mit einer ‚Königin-Rolle’

Falls Diskussionsbedarf besteht: bitte in 'Diskussion allgemein' posten. Danke!

Auf das Thema ‚königinlose Ameisenarten’ bin ich durch meine Pachycondyla spec. Kolonie gekommen, die ich seit einigen Wochen erfolgreich halte. Es handelt sich vermutlich um Pachycondyla kruegeri, einer Ameisenart, der die Königin Kaste fehlt. Anstelle einer Königin sorgt eine begattete Arbeiterin für den Nachwuchs. Die begattete Arbeiterin ist morphologisch von einer ‚normalen’ Arbeiterin nicht zu unterscheiden.

Pachycondyla Arten sind leider noch immer relativ unerforscht. Insofern findet man nur sehr spärliche Informationen zu dieser Art. Über Umwege bin ich zufällig auf einige interessante Forschungsberichte zur Konfliktforschung bei ‚königinlosen Ameisen’ gestoßen, die sich neben diversen Diacamma Arten auch mit Pachycondyla Arten beschäftigen.

Ich gebe hier ein paar knappe Infos zu diesem interessanten Thema der Gamergates. Sie basieren auf diversen Forschungsartikeln, allesamt über Google im Internet gefunden. Keiner der Berichte ist in deutsche Sprache verfügbar – insofern musste ich mich erst einmal in die Thematik und das Fachenglisch einlesen, was aber doch relativ einfach war. Ich bitte eventuelle kleinere fachliche Fehler zu entschuldigen.

Arbeiterinnen einer königinlosen Ameisenart sind totipotent, d.h. sie sind weder auf die Rolle einer reiner Arbeiterin festgelegt, noch auf die Rolle einer nur zur Reproduktion des Staates benötigten ‚Königin’. Vor allem die urtümlichen Ameisen Arten der Ponerinen sind oft ‚königinlos’, oder haben sowohl Königinnen, als auch Arbeiterinnen, die zur Fortpflanzung fähig sind.

Begattete Arbeiterinnen nehmen eine ‚königin-ähnliche’ Rolle ein, werden aber ‚Gamergates’ (nach Peeters) genannt, und eben nicht ‚Königin’, da sie morphologisch zur Arbeiterinnen Kaste gehören. Das heißt, dass Gamergates nicht von normalen Arbeiterinnen zu unterscheiden sind. Einige ‚königinlose’ Arten sind Diacamma rugosum, Dinoponera grandis, Leptogenys schwabi, Ophtalmopone berthoudi, Pachycondyla kruegeri (siehe Haltungsbericht in diesem Forum), Platythyrea schultzei, und verschiedene Arten der Rhytidoponera. Diacamma Arten sind grundsätzlich königinlos. Sowohl Königin, als auch fruchtbare Arbeiterinnen weisen Harpegnatos saltator und Gnamptogenys menadensis auf. Bei letzteren Arten ist die Königin nur während der Kolonie-Gründung vorhanden – nach dem Tod der Königin übernehmen mehrere Gamergates die Aufgabe des Erhalts der Kolonie.

Mehrere neue Studien beschäftigen sich mit der Frage, wie es zur Auswahl einer neuen Gamergate einer Kolonie kommt: es kommt in solchen Kolonien zu ‚Reproduktions-Konflikten’ innerhalb der Arbeiterinnen Kaste. So wurden bei einigen solcher Ameisenarten beobachtet, dass Arbeiterinnen gelegte Eier anderer Arbeiterinnen derselben Kolonie auffraßen; weiterhin wurde beobachtet, dass potentielle Gamergate Anwärterinnen von anderen Arbeiterinnen verstümmelt (Entfernung des Gemmae, einem Anhängsel des Thorax, welches für die sexuelle Attraktivität bedeutend ist) oder ‚festgesetzt’ wurden; festgesetzt solange, bis die Tiere ihre Bestrebungen aufgaben, oder starben. Verstümmelung erfolgte entweder durch dominierende Arbeiterinnen (‚Alpha’ Arbeiterin, s.u.), durch die erste Arbeiterin, die alle folgenden Arbeiterinnen verstümmelte, oder durch die existierende Gamergate, wobei andere Arbeiterinnen das zu verstümmelnde Tier festhielten.

Je nachdem wie alt die existierende Gamergate einer Kolonie ist, können Arbeiterinnen das Aufstreben anderer Arbeiterinnen zur neuen Gamergate verhindern, oder sie können die existierende Gamergate unterdrücken bzw. ausschalten um den Weg für eine neue Gamergate freizumachen. Ähnliches Verhalten wurde auch bei verschiedenen Wespenarten beobachtet.

Bei Dinoponera quadriceps wurde beobachtet, dass nur die ‚Alpha’ Arbeiterin (d.h. die im Rang direkt nach der existierenden Gamergate stehenden Arbeiterin) nachts das Nest verließ um ein Männchen einer anderen Kolonie zur Paarung zu finden. Da die ‚frisch begattete’ Arbeiterin bzw. neue Gamergate alleine keine neue Kolonie bilden können, kehren sie in ihr Heimatnest zurück, wo es zu einer Kolonie Fusion zwischen der alten und der neu zu gründenden Kolonie kommt, die sich später in zwei eigenständige Kolonien teilen.

Neben den ‚Alpha’ Arbeiterinnen gibt es bei königinlosen Ameisenarten auch ‚Beta’, ‚Gamma’ und ‚Delta’ Arbeiterinnen, die im Rang aufsteigen können sobald die ‚Alpha’ Arbeiterin begattet wurde.

Wer Interesse an den mir zur Verfügung stehenden Texten zum Thema hat (alles auf Englisch):

http://www.antstore.net/dload.php?actio ... file_id=53
http://www.antstore.net/dload.php?actio ... file_id=54
http://www.antstore.net/dload.php?actio ... file_id=55

[Stefan_K]

25.08.2005 - Fortsetzung und Neuigkeiten

Falls Diskussionsbedarf besteht, bitte nicht hier, sondern in einem Extra Thread hier

Ich habe im Moment Kontakt zum Author einer Studie zum Thema Gamergates, die ich hier erwähnt habe. Herr Dietemann war so freundlich und hat mir einige Fragen zum Thema beantwortet, welche ich für euch aus dem Englischen übersetzt habe. Das Thema Gamergates und königinlose Ameisen ist derart interessant, dass ich mich auch in Zukunft damit auseinandersetzen werde. Alles, was ich erfahre werde ich hier posten.

Vielen Dank an Vincent Dietemann (Thank you, Vincent - maybe you read this ), der mir erlaubt hat, meine email Unterhaltung mit ihm zum Thema Gamergates hier im Antstore Forum zusammenzufassen und ins Deutsche übersetzt allen Interessierten vorzulegen. Somit fällt der Text unter die Nutzungsbedingungen des Antstore Forums.

Ich habe den Text in ein Frage - Antwort Format übertragen. Unsere Unterhaltung verlief etwas lockerer. Leichte Änderungen waren beim Übertrag in's Deutsche daher leider notwendig, da das Deutsche doch manchmal wesentlich komplizierter ist, als das so schöne Ameisen-Fachenglisch ...

Vincent Dietemann arbeitet am Department of Zoology and Entomology an der Universität in Pretoria, Südafrika.

Viel Spass beim Lesen.

[hr]
Frage: Im Artkel über Gamergates bei Myrmecia pyriformis heißt es, dass die sexuelle Reproduktion durch Arbeiterinnen ein 'Selektiver Vorteil' sei ...

Antwort Dietemann: Das kann nur so sein, da solche Ameisenarten ansonsten nicht bis heute überlebt hätten. Die natürliche Auswahl hätte dafür gesorgt, dass sie von der Bildfläche verschwinden.

Frage: Was genau ist der Vorteil der Reproduktion durch Arbeiterinnen im Vergleich zur Reproduktion durch Königinnen?

Antwort Dietemann: Wir wissen bis heute nicht warum es dazu gekommen ist, dass einige Ameisenarten die Königinkaste verloren haben. Es können Umweltbedingungen gewesen sein, die dazu führten, dass die Königinkaste verschwand; wir wissen, dass diese Arten in der Vergangenheit Königinnen besaßen. Wir sind sicher, dass die Bedingungen, die zum Verlust der Königinkaste führten, andere als die Bedingungen in den heute bestehenden Umweltverhältnissen sind. Insofern hilft es uns nicht weiter, die heutigen ökologischen Bedingungen zu betrachten, um eine Antwort auf die Frage zu bekommen, warum es zum Verlust der Königinkaste gekommen ist.

Wir denken, dass der Verlust der Königinkaste einen entscheidenen Vorteil hat: Königinnen sind für eine Ameisenkolonie äußerst 'teure' Investitionen. Üblicherweise sind Königinnen ja sehr große Individuen und jede Kolonie erzeugt jedes Jahr zur Schwärmzeit unter Umständen tausende von Königinnen. Das ist natürlich ein großer Aufwand für eine Kolonie. Eventuell waren die Umweltbedingungen in der Vergangenheit für einige Ameisenarten so schlecht, dass sie die Königinnenkaste verloren. Da es sich bei königinlosen Arten immer um 'einfache' Ameisen handelt kann es auch sein, dass Königinnen nicht fruchtbar genug waren um genug neue Königinnen zum Ausschwärmen zu produzieren. Kurz gesagt: die wahren Gründe sind nicht bekannt - man kann nur Vermutungen anstellen.

Gamergates paaren sich nach einem 'Paarungs-Aufruf' ('Sexual calling'), der durch ein Pheromon initiiert wird, welches von einer dominierenden Arbeiterin produziert wird, und Männchen anzieht. Die Suche nach einem Männchen geschieht der Nähe des Nesteingangs. Die Parrung geschieht innerhalb des Nestes, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Gamergate überleben wird. Nun ist es so, dass, macht man eine Kosten-Nutzen Rechnung auf, die Produktion tausender Königinnen, von denen 99% nicht überleben werden, es ökonomischer ist, totipotente Arbeiterinnen zu produzieren, denen es möglich ist, sich zu paaren. Da aber Gamergates immer flügellos sind, können sie sich nur in unmittelbarer Umgebung des Nestes bzw. innerhalb des Nestes paaren. Dies ist ja nun offenbar ein Nachteil gegenüber geflügelten Königinnen, und wird somit kein Grund sein, warum die Königinkaste bei solchen Ameisenarten verschwunden ist, hat dies aber offensichtlich auch nicht verhindern können.

Frage: Wenn die Reproduktion durch Arbeiterinnen ein Vorteil ist, warum ist es dann so, dass königinlose Ameisenarten immer bei den sogenannten 'einfachen' oder 'ursprünglichen' Ameisenarten vorkommen, wie bei Pachycondyla, Diacamma und nun auch Myrmecia?

Antwort Dietemann: Diese Frage können wir beantworten. Es verhält sich so: diese Arten sind so einfach gebaut, dass es keinen großen morphologischen Unterschied zwischen Königinnen und Arbeiterinnen gab. Arbeiterinnen und Königinnen sind nicht so spezialisiert (gewesen); alle Arbeiterinnen besitzen auch ein 'Spermatheca' (Arbeiterinnen der meisten höherentwickelten Ameisen haben das Spermatheca verloren, einige haben sogar die Eierstöcke komplett verloren) und sind daher fähig sich zu paaren. Sicherlich sind bei diesen Ameisenarten auch noch eine ganze Reihe von anderen physiologischen Unterschieden und Variation im Verhalten zu finden, die andere Arten mit Königinnen und einer reinen Arbeiterinnenkaste verloren haben.

Frage: Kann es sein, dass die Königinkaste ein Experiment der Evolution ist? Anders gefragt: haben Ameisen mit einer Königinkaste Vorteile, die die Königinkaste rechtfertigen?

Antwort Dietemann: Wenn man sich vor Augen führt, von wievielen Ameisenarten es bekannt ist, dass sie die Königkaste abgeschafft bzw. verloren haben, und man dann betrachtet wieviele Arten die Königinkaste nicht besitzen, dann verhält es sich wahrscheinlich genau anders herum. Der Verlust der Königinkaste scheint ein Experiment der Evolution zu sein, vorallem deshalb, weil solche Arten früher einmal eine Königinkaste besaßen bevor sie diese in der Vergangenheit verloren. Es gibt eine Menge von Vorteilen eine Königinkaste zu besitzen. Zum Beispiel ist es von Vorteil dass Königinnen als sehr spezialisierte 'Fortpflanzungsmaschinen' sehr fruchtbar sind und größere Kolonien gründen können mit hunderttausenden von Arbeiterinnen. Daraus folgt eine ökologische Dominanz und somit der Erfolg einer bestimmten Art.

Frage: Vergleiben Gamergates üblicherweise im Nest, oder sind sie auch als Arbeiterin tätig, da sie ja morphologisch 'nur' begattete Arbeiterinnen sind?

Antwort Dietemann: Ja, Gamergates verhalten sich sehr wie 'normale' Königinnen. Sobald eine Arbeiterin Gamergate geworden ist, ist sie derart wertvoll für eine Kolonie, dass sie im Nest verbleibt, da sie das einzige Individuum ist, welches für den Fortbestand der Kolonie sorgen kann. Bei einigen sehr interessanten (sich selbst klonenden) Arten (siehe http://www.antstore.net/viewtopic.php?t=2608) sorgen alle Arbeiterinnen für Nachwuchs, und gehen auch ihrer normalen Arbeitertätigkeit nach. Bei solchen Arten ist es natürlich egal, wenn einige Arbeiterinnen umkommen. Dies ist aber ein seltsamer Schlenker der Natur, und wahrscheinlich eine äußerst seltene Ausnahme.

Frage: Wie verläuft die Koloniegründung durch eine neue Gamergate?

Antwort: Die frisch begattete Gamergate kehrt in ihr Heimatnest zurück, bzw. wenn die Begattung im Nest stattgefunden hat, verbleibt sie im bestehenden Nest. Eine neue Kolonie entsteht bei königinlosen Ameisenarten immer durch 'Knospung' bzw. 'Abspaltung' aus einer bestehenden Kolonie. Gamergates sind nicht fähig eigenständig neue Kolonien zu gründen.
Manchmal verlässt die Hälfte der Arbeiterinnen ein bestehendes Nest um einen neuen Nestplatz zu finden, wo dort eine in der Hierarchie aufstrebend Arbeiterinnen das neue Nest zum 'Sexual calling' verlässt, und sich dann mit einem Männchen paart.