Weitere eingeschleppte Ameisenart?

Archivbeitrage aus den Unterforen "Einsteigerfragen" und "Diskussion und Fragen allgemein" aus den Jahren 2003 bis 2008.

Weitere eingeschleppte Ameisenart?

Beitragvon earlant » 3. Sep 2006 09:45

Weitere eingeschleppte Ameisenart?

Nach der Freilassung der Blattschneiderameise Acromyrmex octospinosus durch einen Halter in Köln, die im August 2006 ziemlich viel Aufsehen erregt hat, scheint nun eine weitere in Europa nicht heimische, aber im Ameisenhandel erhältliche Art den Weg in die „Freiheit“ gefunden zu haben.

Im http://www.das-ameisenforum.de/thread.php?threadid=7852 schreibt am Samstag, dem 02.Sept. 2006 „Boro“ aus Klagenfurt Folgendes:

„Hilfe! Wer kann bei der Bestimmung dieser Ameisenart ein wenig helfen. Ich hab so was noch nie gesehen, allerdings sind die Ameisen auch winzig und man braucht eine gute Kamera. Die Bilder sind leider nicht ganz scharf, weil ich stark vergrößern musste. Bitte schaut Euch die seltsame Form des Kopfes und der Mandibeln bei der Königin an!!!
Ort: Klagenfurt (Kärnten) 450m Seehöhe, Steingarten auf meinem Grundstück, xerothermer Standort.
Größe d. Ameisen: 2-3mm
Zeit: Etwa 17 Uhr am 21. August
Wetter: bewölkter Himmel, 23 Grad, ca 60% rel. LF
Besondere Umstände: Die Geschlechtstiere schwärmten auf einem Stein, keine Begleitung durch Arbeiterinnen (wie sonst meist üblich!) Ich hab überhaupt keine Arbeiterinnen gesehen.
Die Männchen liefen aufgeregt ständig mit den Flügeln schlagend auf und ab, die Weibchen blieben relativ ruhig. Es kam zur Begattung am Stein, also Inzucht. Die Königinnen flogen nach der Begattung weg. In der Nähe gibt es Nester von Leptothorax/Temnothorax sp., die ich aber zum Schwärmzeitpunkt nich sehen konnte.“
Ich (A. B.) habe zwei der drei beigefügten Bilder etwas überarbeitet und füge sie hier ein.
Es handelt sich zweifellos um eine Art der überall in den Tropen verbreiteten Gattung Strumigenys. Das sind sehr kleine Tiere (ca. 3 mm), die hauptsächlich von Collembola (Springschwänze) leben. Eine Gefahr für die einheimische Ameisenfauna dürfte von den Tieren wahrscheinlich nicht ausgehen. Ob sie irgendwelche gefährlichen Krankheitserreger mitgebracht haben, lässt sich nicht sagen.

Auch die Herkunft der Tiere ist nicht klar, zumal die Art nicht nach den Bildern nur die Gattung bestimmbar ist, nicht die Art.
Verkauft wird eine Strumigenys-Art aus Japan durch Hyperlinks sind nur für registrierte Nutzer sichtbar
Inhaber „Chreisben“ (Christian Ludwig, 42489 Wülfrath); laut seiner Abgabeliste soll es Strumigenys solifontis sein. Unbekannt ist, ob Völker dieser Art nach Klagenfurt/ Österreich geliefert wurden.

Über die Haltung einer „Strumigenys sp.“ in Deutschland berichtete „Moglie“ in http://www.ameisenhaltung.de/forum/thre ... r=0&page=2 am 29.04.2006, Haltung mehrerer exotischer Ameisenarten in einem Gemeinschaftsbecken:
„Wenn man nur ein bisschen Erfahrung mit Ameisen und ihrem Verhalten bzw. Eigenschaften hat sollte es einem ohne Probleme gelingen ein Gesellschaftsbecken einzurichten.
Ich habe z.B. ein Becken mit Polyrhachis dives, Tetramorium spec., Pseudomyrmecine spec., Strumigenys spec,. Apterostigma spec. und noch eine andere Attini spec. und es funktioniert ohne Probleme, obwohl das Becken nur 60cm groß ist.“

Ohne exakte Bestimmung der Art ist nicht nachzuweisen, dass die nun in Klagenfurt im Freiland aufgetauchten Strumigenys einem Halter entkommen sind. Dass sie mit irgendwelchen Handelsgütern angekommen sind, ist nicht auszuschließen, aber doch auch nicht recht wahrscheinlich.
Ein gewisser Glücksfall ist, dass „Boro“ ein sehr guter Kenner von Ameisen zu sein scheint, der diese Tiere auch tatsächlich als „unbekannt“ einordnen konnte. Der Normalbürger hätte Mühe, die Tiere überhaupt als „Ameisen“ zu identifizieren, geschweige denn als "nicht einheimische Ameisen", sprich: Ihr Vorkommen im Freiland wäre niemals aufgefallen!

Ich betrachte diesen Fall als eine weitere, sehr, sehr ernst zu nehmende Mahnung: Hört auf mit dem Import und Versand von ausländischen Ameisen!
Und ich frage mich: Wie viele derartige „Zeitbomben“ ticken bereits in Mitteleuropa???

MfG, Earlant
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Beitragvon Gaster » 3. Sep 2006 11:09

Hmm... wenn sie letztes Jahr schon einmal geschwärmt sind ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie nun weitere Kolonien gebildet haben ja sehr hoch! Habe ich ja da schon gepostet.
Könnten Sie diese Art näher bestimmen, wenn sie Exemplare erhalten, Herr Buschinger?


MfG Jan
Gaster
 

Beitragvon earlant » 3. Sep 2006 17:21

Hallo Gaster,

Boro hat inzwischen gepostet, dass die Ameisen im letzten Jahr schon einmal geschwärmt haben (das wusste ich noch nicht beim Posten meines Startbeitrags hier). Damit müssen sie also bereits einen Winter in freier Natur überstanden haben, und zwar in Klagenfurt (Österreich), wo der Winter ganz ordentlich frostig sein kann. Diese Art würde somit auch deutsche Winter überstehen.

Die Strumigenys anhand von Tieren zu bestimmen sollte möglich sein. Falls ich es nicht selbst schaffe (mangels Literatur), so würde ich sie dem einen oder anderen Kollegen zusenden. Es gibt allerdings recht viele Arten in dieser Gattung, und viele sind noch unbeschrieben bzw. laufen unter "Strumigenys Nr...".

Mit Boro habe ich bereits e-mail-Kontakt aufgenommen.

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Die Lösung des Rätsels: Pyramica argiolus?

Beitragvon earlant » 3. Sep 2006 19:30

Die Lösung des Rätsels: Pyramica argiolus?

Googel-unterstütztes Graben in Gedächtnis und Fachliteratur hat mich auf eine wahrscheinliche Lösung gebracht. Dank der Umbenennungen und der Einbeziehung vieler Gattungen in andere, vor allem durch Bolton (1995 und 2003), bin auch ich nicht immer ganz up-to-date, wenn es um Gattungen geht, mit denen ich praktisch nie zu tun hatte.

Es sieht aber so aus, dass Strumigenys ein Irrweg war.
Eine Gattung Epitritus, in Bolton (1995) noch gültig, ist jetzt nach Bolton (2003) als jüngeres Synonym von Pyramica eingezogen worden.
Unter dem Namen Epitritus aber gibt es ein paar ältere Berichte über Vorkommen im Mittelmeerraum und sogar auch in Deutschland!
Beschrieben war die Art von Emery (1875) aus Italien, aus der Umgebung von Pisa. Espadaler (1979) und Tinaut (1988) berichteten über Vorkommen in Spanien. Bernard (1968) nennt sie für Südfrankreich, Tunesien, Dalmatien und Ungarn. Weit verbreitet also schon seit längerer Zeit, aber wahrscheinlich doch verschleppt, vielleicht mit Topfpflanzen.

Behr et al. (1996) haben über den Fund eines Weibchens von E. argiolus im Insektarium des Kölner Zoos berichtet. Kutter fand bereits 1972 ein Männchen im Wärme-begünstigten Schweizer Wallis. Und ein gewisser Buschinger (1997) hat über all das in der „Ameisenschutz aktuell“ Nr. 2/ 1997 berichtet: „Ein neues Gesicht: Epitritus argiolus erstmals in Deutschland beobachtet“.

FALLS es sich bei dem Fund von Boro in Klagenfurt um diese Art handelt, wäre es also ein schon älterer Import, aus den Zeiten lange vor dem Internet-Handel mit Ameisenkolonien. Ich füge mal die Zeichnung des Kopfes aus Tinaut 1988 an. Die groben „Poren“ auf der Kopfvorderfläche sind dann Schuppen, und auch der Fühlerschaft müsste ein paar solcher Schuppen tragen.

Vielleicht kann „Boro“ mir mal ein paar Tiere zusenden, oder mittels Binokular nach diesen Merkmalen suchen, dann wäre das Rätsel zu lösen.

Übrigens sind von Pyramica argiolus in Europa nur sehr wenige Exemplare gefunden worden: EIN Weibchen in Deutschland, EIN Männchen in der Schweiz, EINE Arbeiterin in der Nähe von Granada/ Spanien, ZWEI Arbeiterinnen auf Korsika; nur Espadaler (1979) war erfolgreicher: Er fand mehr als ein Dutzend Männchen, in seinem Garten bei Barcelona, ertrunken im Kinderplanschbecken!

Über die Lebensweise ist fast nichts bekannt, ob sie monogyn oder polygyn sind, wie die Koloniegründung erfolgt, wie groß die Völker sind, alles unbekannt! Wie bei so vielen Ameisenarten fehlen die Grunddaten über die Biologie auch bei Pyramica argiolus.

Hier gibt es ein paar hübsche Bilder und einen Bestimmungsschlüssel für afrikanische Pyramica (mit der hier als Untergattung geführten Epitritus):
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